"Ihr hier seid meine Zweitzeugen"
Die Holocaust-Überlebende Eva Weyl (81) spricht im Freien Christlichen Gymnasium in Reisholz darüber wie sie davon gekommen ist. Und sie verlässt sich auf die jungen Leute...
Die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 15 und 17 Jahre alt. Rund 90 Minuten werden vergehen, in denen Eva Weyl ihnen ihr Schicksal mit leicht holländischem Akzent schildert, untermalt durch eine Vielzahl von Bildern, die ein Projektor an eine Leinwand wirft. Familienfotos, historische Aufnahmen, Lagerzeichnungen, auch schwer erträgliche Bilder nach der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager.
Am Anfang steht jedoch ein Comic: Ein Junge sieht die KZ-Häftlingsnummer am Arm eines alten Herrn. Er fragt nach dem Grund dieser "langweilig aussehenden" Tätowierung. "Haben sie das, um sich an etwas zu erinnern?" - "Nein", erwidert der Mann, "um euch zu erinnern."
Eva Weyl blickt in die Runde. "Augenzeugen wie mich wird es bald nicht mehr geben", sagt sie und spielt mit der deutschen Sprache: "Ich bin eure Erinnerungsnummer und ihr hier seid meine Zweitzeugen!"
Sie erzählt von der Emigration der angefeindeten jüdischen Eltern nach Arnheim kurz nach Hitlers Machtergreifung 1933. Die Arisierung, sprich Enteignung des Textilkaufhauses ihres Großvaters in Kleve. 1940 überfällt Hitler Holland, die Industrialisierung des Mordens wird organisiert. "Googled die Wannsee-Konferenz", sagt Eva Weyl. Sie packt die Zuhörer mit ihrem Wandeln zwischen dem Hier und Jetzt und dem Grauen.
1941 wird sie mit Vater und Mutter in das Durchgangslager Westerbork in Norden der Niederlande gesperrt. Ihre Beschreibung erstaunt die Jugendlichen, die später oft nachfragen werden , warum das denn überhaupt klappen konnte. "Alles war ein schöner Schein", erzählt Eva Weyl. "Wir lebten wie in einem kleinen Dorf. Wir Kinder gingen zur Schule, die Eltern arbeiteten, es gab Gesundheitsversorgung." Die Lagerleitung täuschte Normalität vor, doch die Züge in Richtung Osten gingen regelmäßig. Die Weyls kommen zwei oder dreimal nur knapp davon. Sie überleben! "Wir hatten Glück", sagt Eva Weyl. "Viel Glück!"
Nach dem Vortrag wird sie, erst noch zögernd doch dann schnell auch unbefangener, angesprochen. Eine dunkelhaarige Schülerin berichtet ihr von einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, einem Schüleraustausch mit Israel. Sie sagt: "Für mich ist diese besondere Perspektive des Überlebens, aus der persönlichen Sicht eines Opfers, so wichtig. Das alles ist kaum vorstellbar und ich teile die Ansicht, dass wir als nächste Generation dafür sorgen sollten, Berichte wie die von Frau Weyl weiter zu tragen."
Sie stellt sich als Romy vor und Eva Weyl strahlt. "So heißt eine meiner Enkelinnen." Und irgendwie ist da plötzlich eine Verbindung zwischen dem 17-jährigen Mädchen aus Düsseldorf und der älteren Dame, der ungefähr in diesem Alter erstmals die so unvorstellbare Dimension der Judenvernichtung in Deutschland klar wurde. Eva Weyls Kinder und Kindeskinder sind fleischgewordener Ausdruck ihres Überlebens, eine Lebensbejahung, die sie dem unmenschlichen Vernichtungswillen ihrer einstigen Peiniger entgegen gestellt hat. Auch deshalb ist sie zu Romy und den anderen gekommen, um Verantwortung für die Erinnerung zu übertragen und vor allem Versöhnung und Toleranz zu beschwören.
Das Ganze in Düsseldorf, wo sie erstmals im Rahmen ihrer Zeitzeugen-Vorträge, die sie seit sechs Jahren auch nach Deutschland führen, zu Besuch war und wo ein Faden ihrer Geschichte ausläuft: Albert Gemmeker, SS-Obersturmführer und Lagerkommandant von Westerbork, war Düsseldorfer. Nach seiner Verhaftung berief er sich vor einem holländischen Gericht darauf, nichts von den Konsequenzen für die von ihm in die Vernichtungslager deportierten Juden gewusst zu haben. Er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, saß davon sechs ab. Anschließend arbeitete er in einem Zigarrenladen. Eva Weyl: "Er starb 1982 friedlich in seinem Bett..."