Ein Buch, das über mehr als einen Bomber-Absturz erzählt Aus Teilen ein Ganzes
„Springt ab, Freunde, wir wurden getroffen“. So lauten die letzten Worte des neuseeländischen Piloten des britischen Bombers, bevor der am 12. Dezember 1944 über dem Düsseldorfer Wildpark abstürzt. Der Düsseldorfer Thomas Boller (auf dem Foto an der 2018 aufgestellten Erinnerungs-Stele am Wildpark-Parkplatz) hat über die Tragödie ein Buch geschrieben. Ein Buch über „nur“ ein paar wenige von so unzählig vielen dramatischen Schicksalen des 2. Weltkriegs, von Feindschaft, Tod, aber auch von der Kraft des Erinnerns und der Versöhnung.
Es sind hunderte, mitunter sehr kleine Einzelteile eines Flugzeugs gefunden worden, dass 1944 über dem Düsseldorfer Wildpark abstürzte. Doch für Thomas Boller haben sie sich nach jahrelanger Recherche für sein Buch zu einem ganzen Bild zusammengesetzt, das weit über ein Weltkriegs-Schicksal einer britischen Bomberbesatzung hinaus geht.
Im Herbst 2009 hatten Mitarbeiter des Wildparks ein rund 18 cm großes nietenbesetztes Metallstück im Wildschwein-Gehege gefunden. Thomas Boller (49), damals ehrenamtlich für das Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland tätig, wurde Anfang 2010 konsultiert. „Es gab schon länger Berichte auch von Zeitzeugen, die vom dortigen Absturz eines Flugzeugs im letzten Kriegswinter 1944 gesprochen hatten“, erzählt Boller. Ein fünf- oder sechsköpfiges Team beginnt mit der genaueren Suche, weitet die in Frage kommende Fläche aus. Boller, der sich schon immer und gerade auch für Propellermaschinen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts interessierte, hat da bereits etwas im Hinterkopf.
Sie finden eine große Menge Fragmente, kleinere Metallteile, Armaturen, Leitungsstücke und einen etwa 50 cm großen Bordfeuerlöscher. Sie entdecken Bauteilnummern, eingestanzte Buchstaben und Zahlen, dazu ein „AM“, Air Ministery. „Uns war dann schnell klar - das kann der Absturz von 1944 sein.“ Und es klingelt wieder bei ihm: „Einige Jahre zuvor hatte ich bereits einen Flugzeugabsturz in Hochdahl recherchiert, dabei auch Unterlagen des Düsseldorfer Nordfriedhofs eingesehen. Die passten nicht zum Unglück in Erkrath, irgendetwas mit Grafenberg...“
Boller erinnert sich richtig und sie haben ein Datum, den 12. Dezember 1944 und Namen sowie Todestage. Er buddelt weiter in den Tiefen vorliegender Dokumente, surft durch das Internet, kontaktiert die Royal Airforce, wühlt sich durch das Stadtarchiv Essen. Bald erhält er Ergebnisse: eine siebenköpfige Bomberbesatzung fliegt einen Angriff auf die Essener Kruppwerke, die alliierten Luftschläge gegen Nazi-Deutschland befinden sich bereits in der Endphase. Auf dem Rückweg nach England wird der britische Lancaster-Bomber abgeschossen. Der neuseeländische Pilot Reginald Clive Veitch, an Bord sind Commonwealth-Soldaten aus Kanada, Schottland, England und Wales, liefert mit seinen letzten Worten - „Springt ab, Freunde, wir wurden getroffen“ - über 75 Jahre später den Buchtitel für Thomas Boller.
Drei der sieben Flieger überleben, kehren nach Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurück. Die getöteten Soldaten erhalten ein militärisches Ehrenbegräbnis auf dem Nordfriedhof, werden später auf die Kriegsgräberstätte Reichswaldfriedhof bei Kleve umgebettet. Boller: „Dort gibt es über 7000 letzte Ruhestätten dieser Art.“
Als der Buch-Autor mehr oder minder zufällig an einen englischsprachigen Artikel gelangt, der veröffentlichte Briefe des Piloten Veitch zum Inhalt hat, schafft er es, Kontakt zum Neffen des gestorbenen Bomberführers in Neuseeland zu knüpfen, der die Korrespondenz seines Onkels zur Verfügung gestellt hatte. „Der Mann war natürlich ziemlich überrascht, dass sich da jemand aus Deutschland für seinen vor vielen Jahren gestorbenen Onkel interessiert“, erzählt Boller. Und ihm ist heute klar: „Erst als ich den ersten Kontakt zu einem Nachkommen aufgenommen hatte, entschloss ich mich, das Buch zu schreiben.“
Der Düsseldorfer operiert in seinem detaillierten Bericht vielfach mit ihm zur Verfügung gestellten persönlichen Briefen der Soldaten, beschreibt damit ihre Gedanken, Sorgen, Ängste. Er hat weitere Nachkommen kennengelernt, insbesondere den Neffen des ebenfalls getöteten Heckschützen John Patterson aus Kanada. „John Patterson, er heißt wie sein Onkel, war dann mit Familie tatsächlich anlässlich des 70-jährigen Absturzgedenkens hier am Wildpark vor Ort“, sagt Thomas Boller. „Es herrschte eine gedrückte Stimmung, doch auch ein Gefühl von gemeinsam erlebter Geschichte mit der Überwindung von Krieg und Feindschaft zugunsten von Versöhnung und gemeinsamem Erinnern.“
Im kommenden Jahr soll es im Ruhrmuseum in Essen eine Ausstellung zur „Archäologie des 2. Weltkriegs“ geben, erzählt Thomas Boller. Bei ihm habe man wegen des Feuerlöscher aus dem abgestürzten Bomber vom Wildpark angefragt...