Pflegekräfte: Wir sind am Anschlag
10 Uhr, schon 28 Grad, Urlaubssituation, null Zeit, ein Büro im vierten Stock der Sana-Klinik Gerresheim an der Gräulinger Straße.
Nicole Thomes entschuldigt sich für das Durcheinander, schiebt schnell ein paar Dinge zusammen und wartet auf Fragen, während sie sich Luft zufächelt. Die 54-jährige Krankenschwester opfert freie Minuten, um einem Mann im Anzug den Pflegenotstand zu verdeutlichen. „Ich bin seit über dreißig Jahren Schwester und beherzige von Anfang an diesen Grundsatz: Ich stelle mir immer vor, der Patient hier, das wäre meine Mutter, mein Mann, mein Kind.“ Aber jetzt sind ihre Kolleginnen und sie selbst am Anschlag und haben deshalb vor kurzem gegen die Pflegereform der Regierung protestiert. „Früher, da waren für 20 Patienten acht Kräfte im Frühdienst im Einsatz, fünf Examinierte und drei Schüler.“ Das war eine gute Pflege.
Nicole Thomes zur Seite sitzt der 59-jährige Betriebsrat Bernd Zimmermann, er assistiert ihr: „Ich war selbst 25 Jahre in der Intensivpflege, ich weiß, wovon ich spreche.“ Damals hat der Chefarzt bestimmt, wie lange jemand dablieb. Heute gibt es einen bestimmten Geldbetrag für den Patienten, was das Krankenhaus zwingt, das Bett so schnell wie möglich neu zu belegen. „Da muss der Wechsel reibungslos laufen, bis zu einer bestimmten Uhrzeit, das Zimmer gehört gereinigt, die Transporte bestellt.“ Einmal pro Woche kann so eine ganze Abteilung umgewälzt werden. Nicole Thomes sagt traurig: „Da geht so viel verloren. Die Menschen kommen zu uns mit Ängsten und Sorgen....“ Bernd Zimmermann vollendet den Satz: „Wenn ein Patient bittet, ich brauche mal Ihre Hand, dann bekommt er sie auch.“ Aber das muss die Schwester irgendwo anders aufholen oder von ihrer Pause abzwacken. Dabei geht schon so viel Zeit verloren. Die schriftliche Pflegedokumentation frisst die Kräfte auf, aber klar ist auch: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht.“
Und der demografische Wandel wird das noch verstärken. Nicole Thomes sagt mit Empörung in der Stimme: „Seit fünfundzwanzig Jahren verschusselt die Politik diese Entwicklung.“
Hinzu kommt der Unfrieden in der Patientenschaft. „Wir haben hier relativ Gesunde, die zum Beispiel eine Leisten-OP brauchen. Und wir haben Schwerstkranke, hoch infektiös.“ Da könne es schon sein, dass jemand mal eine halbe Stunde auf seinen Kaffee warten muss, während sich die Schwester in der Hygiene-Schleuse umkleidet.
Oder eine Operation wird verlegt, weil der Saal durch ein Unfallopfer blockiert ist. „Ich verstehe“, sagt Bernd Zimmermann, „dass ein Selbstständiger sauer ist, er verliert einen Tag.“ Aber Sana ist ein Krankenhaus und kein Hotel. „Wir sind Menschen und keine Maschinen“, schiebt Nicole Thomes hinterher. „Wir haben ein richtig gutes Team, das sich hilft, das bereit ist, am freien Tag einzuspringen.“
Zimmermann gibt zu bedenken: „Wir brauchen auch deshalb mehr Personal, damit das vorhandene nicht verbrannt wird.“ „Fragen Sie mal, wer hier keinen Wirbelsäulenschaden hat?“
Um so mehr tut es den Schwestern gut, wenn es so läuft: „Ich wohne in Unterbach und manchmal treffe ich beim Wochenmarkt Patientinnen, mit denen man scherzt, die sich bedanken und wo man froh ist, sie zurück in die Häuslichkeit gebracht zu haben.“
„Das müssten sich die Politiker in Berlin auch einmal vorstellen: Dass ihre Eltern oder sie selbst im Alter in eine solche Lage geraten.“