Im Redaktions-Gespräch: Bastian Fleermann, Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte „Hitler kommt bei uns nicht vor“
Sei 1987 erinnert die Mahn - und Gedenkstätte in der Altstadt an die NS-Zeit in Düsseldorf, klärt auf, ordnet ein, knüpft historische Bande bis in die Gegenwart.
Dies stets vor dem lokalgeschichtlichen Hintergrund. Zuletzt kamen soviel Besucher wie nie. Für Instituts-Leiter Bastian Fleermann kommt das im Interview mit dem Düsseldorfer Anzeiger nicht ganz überraschend.
Herr Fleermann, die Mahn- und Gedenkstätte hat 2016 den Besucherrekord aus dem Jahre 1988, damals ein Jahr nach Instituts-Eröffnung, gebrochen. Wie kommt‘s?
Nun, wir hatten 2016 zunächst eine sehr attraktive Foto-Sonderausstellung mit Aufnahmen aus den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg in Düsseldorf. Die hat stark überzeugt und viele Menschen zu uns gebracht. Eine Ausstellung, die natürlich auch viele Zeitzeugen über 70 angesprochen hat. Diese Leute haben die Trümmergrundstücke und den Wiederaufbau noch selbst erlebt.
Das ist aber nicht alles…
Ich glaube auch, dass wir nach wie vor auf der Welle "die sind doch neu" schwimmen. Es gibt viele Düsseldorfer, die die seit Mai 2015 neu gestaltete Gedenkstätte noch nicht besucht haben. Die Einrichtung war davor immerhin vier Jahre lang nicht zugänglich. So hatten wir — ehrlich gesagt — schon ein wenig erwartet, dass es 2016 voll werden könnte.
Wer kommt zu Ihnen?
Wir haben eine große Zahl von langjährigen, treuen Besuchern. Sie kommen aus den Kirchen, den Gewerkschaften und den Parteien. Die sind dann häufig auch in unserem Förderkreis organisiert.
Dazu kommen die vielen Schüler. Ich habe aber 2016 auch Menschen getroffen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Es sind junge Leute dabei, zwischen 14 und 30 Jahren, wo ich mich frage, wie kommen die hier hin? Denn unser Haus spielt nicht in der Liga der großen "Pötte" hier am Anfang der Mühlenstraße, wie Kunstsammlung oder Kunsthalle. Wir spielen in der Liga der kleinen Spezialhäuser. Und wir besetzen thematisch eher ein zunächst recht düsteres Kapitel — auch wenn es in den neuen Räumen hier gar nicht mehr düster ist.
Welche Rolle spielen etwa die sozialen Medien dabei?
Es gibt eine hauptamtliche Social Media-Betreuerin, aber es gibt eben auch junge Museumsführer, die junge Leute durch die Ausstellungen begleiten. Und sie fungieren zudem als Themen-Scouts, die "junge" Ausstellungs-Angebote besetzen.
Junge Leute in der Mahn- und Gedenkstätte: Für Sie ein ermutigendes Signal in Zeiten unverblümter Hasstiraden von rechts und Politiker-Reden über "Schandmale" des Holocausts in Deutschland?
Ja, das ist ermutigend. Auch wenn es ein Stück paradox ist, dass ein historisches Thema nicht erkaltet, sondern warm bleibt und weiter bearbeitet wird. Neue Generationen richten auch neue Fragestellungen an diese Geschichte.
Paradox deshalb, weil der Abstand immer größer wird, bald keine Zeitzeugen mehr da sind. Und diese Zeitzeugen sind ein zentraler Aspekt unserer Arbeit. Wenn wir es nüchtern betrachten, spräche alles dafür, dass dieses Thema zugeklappt wird und in eine Reihe gestellt wird etwa mit dem 30-jährigen Krieg oder der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Interessant ist, dass genau das nicht passiert. Immer noch oder vielleicht sogar immer mehr nehmen Emotionen in diesem Teil unserer Geschichte eine Riesenrolle ein.
Das bedeutet?
Wir sind tagtäglich mit Erinnerungskultur beschäftigt. Mit dem, was diese in vielen Familien auslöst und ausgelöst hat. Bis heute. Wir wenden uns mit gefühlter Lebenswirklichkeit an die Besucher: Der war damals 14, du bist es heute. Der wohnte in deinem Viertel, vielleicht sogar auf deiner Straße. Die war damals verliebt, wie war es bei dir? Wir arbeiten lokalgeschichtlich! Es gibt kein Foto aus der Dauerausstellung, welches nicht aus Düsseldorf stammt. Ein Konzept, das eben auch ein großer Teil unseres Wirkungsgeheimnisses ist.
Geben Sie ein konkretes Beispiel!
Wir hatten einen Besucher aus Israel hier, der im Zuge einer Düsseldorf-Reise zufällig unsere Einrichtung entdeckte. Der hat auf einem unserer Fotos seine Urgroßeltern entdeckt. Es gibt aber auch noch eine viel eindringlichere Geschichte.
Erzählen Sie bitte!
Ich telefoniere regelmäßig freitagabends mit Gary Wolff in Los Angeles, der als Günther Richard Wolff in Düsseldorf geboren wurde. Zu seiner Bar-Mizwa bekam er ein Akkordeon geschenkt. Vier Tage danach wurde er deportiert. Ein Gestapo-Mann klaute ihm das Instrument mit den Worten: "Wo du morgen hinfährst, brauchst du es nicht mehr." Dieser Mann hieß Georg Pütz. Vermutlich hat die Familie das Instrument immer noch. Da kommen wir von diesem unfassbaren, schier abstrakten Vernichtungslager Auschwitz, den sechs Millionen toten Menschen zu einem ganz konkreten Vorfall.
Was ist für Sie eine der überraschendsten Erkenntnisse in Bezug auf Düsseldorf im Nationalsozialismus?
Wir fragen die Leute in der Ausstellung: Was glauben Sie, wie viele Düsseldorfer in der NSDAP waren. Es kommen dann Schätzungen von 80 oder gar 90 Prozent. In Wirklichkeit waren es nur sechs Prozent, gegen Kriegsende stieg der Wert auf etwa siebeneinhalb Prozent. Was natürlich die im Nachhinein oft getätigte Aussage, man hätte in die Partei unter Druck eintreten müssen, konterkariert. In Sachen Forschung nahm Düsseldorf im Übrigen eine besondere Position ein.
Inwiefern?
Hier — und Düsseldorf war damals bereits eine Großstadt mit 500.000 Einwohnern — sind alle Abscheulichkeiten des Regimes zu Tage getreten. Von der Verfolgung der Zeugen Jehovas bis zu den Deportationen und auch der Ermordung der Juden. Düsseldorf war nach Berlin die zweitgrößte Gestapo-Stelle im Reich. Bei der Vernichtung der Akten war man wohl doch recht vergesslich. 80.000 Akten fanden sich auf einem Bauernhof im Westfalen. Eine Akte für jeden Menschen, der observiert bzw. verfolgt wurde.
Was ist eigentlich mit Adolf Hitler in Ihrem Haus?
Der kommt in unserer Dauerausstellung überhaupt nicht vor! Wir wollen auf die Millionen anderen Deutschen gucken, nicht immer auf diese Clique von Schwerstverbrechern, auf die man immer so schön die Verantwortung abwälzen kann. Wir begreifen den Nationalsozialismus und die Judenvernichtung keinen Deut besser, wenn wir diskutieren, ob Hitler Vegetarier war oder nicht.
Am kommenden Freitag jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 72. Mal. Was entgegnen Sie der Ansicht, dass die Sühne-Haltung der Deutschen nun doch endlich lange genug angedauert habe?
Der Stadtrat hat mit der Entscheidung für den Umbau ein Bekenntnis zum Mahnen vor dem Nationalsozialismus abgegeben. Das ist ein starkes Zeichen. Und was den Schlussstrich angeht: So funktioniert Öffentlichkeit nicht. Dass jemand bestimmt, ab jetzt reden wir nicht mehr drüber, weil er andere politische Inhalte vertritt, andere politische Ziele hat. Das Thema ist beendet, wenn keiner mehr eine Frage dazu hat!