Halbzeit-Ergebnisse zum landesweiten Forschungsprojekt Die Toten des Novemberpogroms

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist geprägt von brutalster Gewalt. Synagogen brennen, Schaufenster gehen zu Bruch. Das ist die eine Seite. Die andere: Menschen werden in ihren Wohnungen überfallen.

Auf Spurensuche: Immo Schatzschneider und Gerd Genger leisten bei der Recherche regelrechte Detektivarbeit.

Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf/ Uwe Schaffmeister

Sie werden von ihren eigenen Mitbürgern gequält, gedemütigt, brutalst verletzt und getötet. Aus einem einzigen Grund: Sie sind Juden.

Die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte hat jetzt erste Ergebnisse zu einem ersten landesweiten Forschungsprojekt vorgestellt: "Die Toten des Novemberprogroms".

Ziel: Erstmals sollen für das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen genaue Zahlen ermittelt werden. Wieviele Menschen starben tatsächlich durch unmittelbare Gewalt oder an den Folgen. Und vor allem: Wer waren diese Menschen?

Lange Zeit, erklärt Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, sorgte der Begriff "Kristallnacht" für eine regelrechte Verniedlichung der Gräueltaten des 9. November 1938. Auch sei immer wieder die Zahl von 91 Toten für das gesamte Reichsgebiet genannt worden. "Unfassbar untertrieben", sagt Fleermann.

Vor zehn Jahren haben sich die Historiker im Institut an der Mühlenstraße mit dem Thema für die Publikation "Novemberpogrom in Düsseldorf" befasst.

"Wir wollten alle Überfälle dokumentieren, die in Düsseldorf geschehen sind. Anfangs hatten wir noch über Scherben und Kristall nachgedacht. Am Ende dachten wir nur noch über die 17 Toten nach", so Fleermann. Vom schönfärberischen Begriff "Kristallnacht" waren die Historiker zu den Menschen und ihren Schicksalen gelangt.

Und zur Erkenntnis: Niemand weiß, wieviele Menschen tatsächlich starben.
Das Team der Mahn- und Gedenkstätte hat inzwischen landesweit unter anderem über 400 Stadtarchive angeschrieben. Jetzt, zur Halbzeit des Forschungsprojektes, gibt es knapp 50 Prozent Rückmeldungen. Und schon jetzt sind 120 Tote allein auf dem Gebiet des heutigen NRW nachweisbar.

Als "Tote des Novemberpogroms" werden bei der Untersuchung nicht nur jene Menschen eingeordnet, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November ums Leben kamen, sondern auch jene, die an den Folgen starben.

Menschen also, die in Folge des Schocks einen Herzinfarkt erlitten, an den Spätfolgen der Verletzungen starben oder Verzweiflungssuizide betrieben. "Von Selbstmord möchte ich nicht reden. Wir sprechen von Menschen, die in den Tod getrieben wurden." Oder die ins Konzentrationslager gebracht wurden und die dort herrschenden Bedingungen nicht überlebten.

Es wird deutlich: die Novemberpogrome 1938 sind erstmalig ein kollektives Eindringen in die Privatsphäre. "Die meisten Morde passieren im privaten Umfeld", betont Fleermann. Und: die Gewaltexzesse geschehen in großen Städten wie in kleinen Gemeinden, wo die Menschen sich sehr wohl kennen.

Im November 2018, kurz vor dem 80. Jahrestag des Progroms von 1938, werden die Ergebnisse der Forschungsarbeit vorgestellt. Gefördert wird die Arbeit vom Land NRW.

Am Ende steht der Wunsch, mit diesem Landesprojekt den Startschuss für Untersuchungen bundesweit zu geben. Damit die Opfer der Novemberpogrome einen Namen bekommen.

! Nicht nur die Ergebnisse von Archiven sind hilfreich für die Forschungsarbeit der Historiker, sondern auch von Angehörigen und Hinterbliebenen. "Melden Sie sich bei uns und helfen Sie uns dieses besondere Projekt zu verwirklichen. Ansprechpartner sind Herr Schatzschneider und Herr Genger bei uns in der Gedenkstätte", sagt Bastian Fleermann, Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte

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