Klangtüftler Lieblingsplatte-Festival im zakk

In Zeiten der Playlists und des Musikstreaming wird das Album immer wieder totgesagt. Es ist als künstlerische Ausdrucksform für Musiker aber bis heute unersetzlich. Das Festival "Lieblingsplatte" im zakk bringt auch in diesem Jahr eine Woche lang stilbildende und einflussreiche Werke auf die Bühne.

Liefern Neo-Chanson: Stereo Total aus Berlin.

Foto: SimGil

Wichtige Alben der deutschen Pop-Geschichte — was zunächst unprätentiös daher kommt und ein bisschen klingt wie der Titel eines akademischen Aufsatzes als Abschlussarbeit eines Proseminars, ist tatsächlich nichts Geringeres als herausragende, wegweisende und essenzielle Alben deutscher Musikgeschichte und ihre Schöpfer live erleben zu können. Denn das ist es, was das Lieblingsplatte-Festival in diesem Jahr bereits zum dritten Mal ausmacht: Erneut werden sechs deutsche Bands im Dezember im zakk antreten, um dort jeweils exklusiv ein ausgewähltes Album ihres Oeuvre zu spielen.

Akribisch bereiten sich die Ausgewählten auf diese Abende vor und proben die Shows extra für den Auftritt neu ein. Kuratiert von zakk-Musikchef Miguel Passarge steht, wie bereits in den Vorjahren, auch in diesem Dezember die Idee im Vordergrund, ein ausgewähltes Album als ein in sich geschlossenes Kunstwerk zu würdigen und Werke vorzustellen, die in ihrem Genre wegweisend waren, Grenzen ausloteten oder als Inspirationsquelle für andere Künstler dienten. Damit wird auch ein Kanon der deutschen Pop-Musik zur Diskussion gestellt, denn so unterschiedlich die Bands, so unterschiedlich sind auch deren Erzeugnisse, die im zakk live auf die Bühne kommen.

So waren das bisher etwa The Notwist mit ihrem 2002er-Album "Neon Golden" oder Michael Rother mit seinem Album "Flammende Herzen" aus dem Jahre 1977. Torch mit "Blauer Samt" war dabei und Blumfeld mit ihrer "Ich-Maschine". Es gab einen Auftritt von Fehlfarben, die ihr Album "Monarchie und Alltag" live und in voller Länge aufführten und auch Andreas Dorau sang die Stücke seines Albums "Blumen und Narzissen", veröffentlicht 1981 beim Düsseldorfer Label ata tak.

Und auch in diesem Jahr wird der musikalische Bogen weit gespannt. "Zensur & Zensur" lautet der Festivalaufmacher und Titel des Debütalbums der Düsseldorfer Band Male um Sänger und Kopf Jürgen Engler. Der spielte ab 1976 gemeinsam mit Bernward Malaka und Stefan Schwaab "so schnell und so laut" sie konnten und traten damit zunächst in Schulaulas, später dann auf Festivals und auch im legendären Ratinger Hof auf, bis sie 1979 schließlich ihre erste eigene Platte veröffentlichten und damit etwas erzeugten, was heute als Premiere gilt: Das Album, produziert ohne Major-Label, markiert die erste Punk-Platte Deutschlands. Darauf ausnahmslos deutschsprachige Stücke, "Bilk‘80" etwa, "Vaterland" und "1 Tag Düsseldorf". Die Texte sloganhaft, provozierend, assoziativ und die Band Impulsgeber einer Szene, die in der Folge Bands wie Mittagspause, S.Y.P.H., KFC oder ZK, später auch Die Toten Hosen hervorbringt.

"Was hat dich bloß so ruiniert?" fragen im weiteren Festivalverlauf der diesjährige Ausgabe etwa Die Sterne mit ihrem Album "Posen", das einen Höhepunkt der Hamburger Schule darstellt, und Stereo Total liefert mit "Musique Automatique" Neo-Chanson und Lo-Fi-Pop aus Berlin. Mittlerweile auch schon zwanzig Jahre alt, deshalb aber noch lange nicht aus der Zeit gefallen ist auch das Album "Unter Tage" der Deutschrapper Ruhrpott AG, kurz RAG, aus Bochum: Old School-HipHop mit trockenen und reduzierten Beats bilden die Grundlage für die ausgefeilten Raps der drei MCs aus dem Pott. Und während der Singer-Songwriter Gisbert zu Knyphausen aus Eltville-Erbach im hessischen Rheingau melancholisch und dennoch hoffnungsvoll mit seinem gleichnamigen Erstling aus dem Jahr 2008 an den Start geht, wird im Rahmen des Festivals in diesem Jahr gleich noch eine zweite Band aus der Landeshauptstadt vertreten sein: 2009 veröffentlichte Kreidler das Album "Mosaik 2014". Damit machte das Quartett einmal mehr deutlich, welche herausragenden Musiker neben den üblichen Verdächtigen Düsseldorf zu bieten hat. Das Album ist mehr als eine Landmarke. Rund sieben Jahre ließ sich die Band dafür Zeit und gestaltete eine Platte, die tanzbar war, ohne sich aber der einst gängigen Clubkultur anzubiedern. Ein subtiles Groove-Verständnis gepaart mit dem der Band ureigenen Klangtüftlertum, das sich einer eindeutigen Ausrichtung verweigert.

Und ein bisschen erinnert das damit auch an das Lieblingsplatte-Festival selbst: Tatsächlich ist für jeden etwas dabei. Allen Alben aber gemein ist, dass sie einladen zum lustvollen Entdecken oder Wiederhören und ohne weiteres zum Destillat ausgewählter Must Hears zählen. Lieblingsplatten eben.

(Sven-André Dreyer, sad,s dr)
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