Irland im Frühjahr Inishbofin - Die Insel des Wachtelkönigs

Martin, der Busfahrer, hievt meine Tasche in den Kofferraum. "Wo willst du denn hin?" "Inishbofin. 12 Tage." Der Mann aus Dublin guckt irritiert. "Alles in Ordnung mit dir?" Ich versichere ihm, dass ich nur eine ganz kleine Schraube locker habe.

Inishbofin in Bildern
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Und mache dann einen großen Fehler. "Ich will Wachtelkönige sehen!" Jetzt hat es Martin plötzlich eilig, hinter sein Lenkrad zu kommen.

Der Wachtelkönig ist ein seltener Vogel. Auf Inishbofin soll er sich sehr wohl fühlen. Da er nachtaktiv ist, habe ich bei verschiedenen Tagesausflügen auf die Insel bislang noch keine Begegnung mit ihm gehabt. Das soll sich jetzt ändern.

Die knapp halbstündige Überfahrt mit dem Schiff von Cleggan verläuft entspannt. Die ersten Seevögel künden vom Atlantik. Zwei Basstölpel segeln elegant übers Meer, Möwen randalieren. Und dann tauchen sie vor uns auf: Der weiße Leuchtturm und die alte Festungsruine. Wahrzeichen für den Hafen der Insel. Allerdings leuchtet der weiße Turm nicht mehr. Schwere See im Januar 2014 hat ihm das Licht ausgeschaltet. Eine moderne Leuchte steht inzwischen daneben.

Dermot Concannon, der Fährkapitän, ist auch mein Vermieter. Er wird meinen Koffer später nachbringen. Ich gehe zu Fuß zum East End Village, zur Siedlung am Ostende der Insel. Nach rund zehn Minuten liegen die meisten Wohnhäuser bereits hinter mir. Sanft fällt die Insel zum Meer hin ab. Silbrig schimmert ein See im Mittagslicht. Lerchen steigen in den Himmel und singen ihr Lied, kein Auto weit und breit. Die Ruhe ist überwältigend.

"Rrrep - rrreep". Von wegen Ruhe. Durchdringendes Knarren zerreißt die Stille. Und ich brauche einen Moment bis mir einfällt: So ruft der Wachtelkönig. Am hellichten Tag. Es gibt ihn also tatsächlich. Und besonders nachtaktiv klang das gerade nicht.

Als ich in meiner Unterkunft ankomme, erzähle ich Dermots Frau Caroline von meiner Entdeckung. "Die haben wir auch schon mal im Garten", erzählt sie mir und scheint meine Begeisterung für den seltenen Vogel gar nicht zu teilen.

Ich bekomme eine kurze Einweisung in die Elektrizität meines Appartments und in Sachen Mülltrennung. "Speisereste sammelst du bitte in diesem Eimerchen", erklärt mir Caroline. Sie zeigt auf ein Ding, das ich irrwitzigerweise für einen Champagnerkühler gehalten habe.

"Abends, wenn die Touristen weg sind, gehst du damit zum Strand und kippst das aus. Sobald du dich umdrehst, kommen die Möwen." Ich gucke wohl etwas dämlich. Caroline lacht. "Ab sofort bist du keine Touristin mehr. Und lass dir eines gesagt sein — wir habe die fettesten Möwen von ganz Irland!" Wie sich später herausstellen wird, keine Übertreibung.

In den nächsten Tagen bin ich viel unterwegs. Es gibt drei ausgewiesene Rund-Wanderstrecken von 5 bis 8 Kilometern Länge. Die Insel ist nicht groß, wird aber bei intensiver Erkundung zusehends größer. Das hat viel damit zu tun, dass man wunderbare Pfade abseits dieser drei Wege entdecken kann. Wilde Klippen, einsame Moore, stille Ebenen und immer wieder "Rrrep - rrreep". Ich kann ihn hören. Aber er knarrt weiterhin im Verborgenen.

Am Wochenende ist Inishbofin Walking Festival. Drei Tage mit geführten Touren, Vogelkundler inklusive. Ich entscheide mich für die Bootsfahrt zur Nachbarinsel Inishshark. Dort war ich noch nie. Wer sonntags mit will, kann sich freitags im Gemeindezentrum anmelden. Ab 20 Uhr. Ich gehe um 19.30 Uhr hoch und treffe auf einen reizenden älteren Herren. Michael Joe. Ob ich mich schon anmelden könne, will ich wissen. "Klar. Kein Problem." Umständlich kramt er einen Anmeldebogen hervor. "Die Frau, die das hier eigentlich machen soll ist schwanger." Ich verstehe. Michael Joe ist nur die Aushilfe. Und einer der nettesten Menschen, die man auf Inishbofin treffen kann.

"Wann fährt das Schiff denn am Sonntag?" Er überlegt. "So 13.30 Uhr. Sieh mal zu, dass du um 13 Uhr hier bist." Er reicht mir noch eine Liste, in die ich mich eintragen soll. "Äh, wieso steht denn hier 11 Uhr?" Er guckt irritiert. Dann zuckt er die Schultern. "Gibt noch einen Vortrag. Glaub‘ ich."

Am Sonntag bin ich um 11 Uhr im Gemeindezentrum. Hier laufen die Fäden des sozialen Insellebens zusammen. Touristen finden eine öffentliche Toilette, eine kostenlose Wanderkarte und freies WLAN, Insel-Kinder eine Turnhalle und auch Veranstaltungen wie das Walking Festival oder eine Woche später das Kultur-Festival werden von hier organisiert — mehr oder weniger.

Michael-Joe strahlt mich an. "Möchtest du einen Tee oder Kaffee?" Bei Tee in Irland kann ich nicht nein sagen. "Na, dann komm‘ mal mit!" Durch die Turnhalle geht's zur kleinen Küche. Seine Frau Margret — erfahre ich — stammt von der Nachbarinsel Inishturk. Nein, die Zeiten seien nicht rosig fürs Inselleben, sagt Michael Joe. Drei Kinder haben sie noch drüben, auf Turk. Die Regierung in Dublin sähe es am liebsten, wenn die verbliebenen Einwohner bald ganz aufs Festland übersiedeln würden. Wieviele Bewohner Inishbofin noch hat, will ich wissen. Michael Joe überlegt lange. "Ich schätze, wir sind noch etwa 160." Zwei seien im vergangenen Winter wieder ausgewandert.

Die Finanzierung des Gemeindezentrums auf Inishbofin war gefährdet. "Die Regierung hat jetzt zunächst für ein Jahr verlängert. Was dann geschieht, wissen wir nicht."

Mit Tommy Burke auf Inishshark.

Foto: ho

Als wir mit unserem Tee wieder zum Empfang kommen, sind vier weitere Inishshark-Fahrer aufgekreuzt. Auch für sie gibt's Tee. Michael Joe schmeißt außerdem eine Runde Kekse. Wir klönen munter, bis um 13.30 Uhr jemand fragt, wann es eigentlich los geht. Der ruhige Michael Joe wird plötzlich hektisch. Er telefoniert. Tommy Burke, unser Tour-Guide für die Fahrt, meldet sich. Er ist dummerweise allerdings schon auf Inishhark.

Großes Wolken-Kino ist eine Spezialität der Region Connemara.

Foto: ho

Man hat uns im Gemeindezentrum schlichtweg vergessen. Jetzt schlägt Michael Joes große Stunde. Zwei Telefonate später schickt er uns zum Hafen-Anleger. "Ihr fahrt jetzt hinterher!"

Die Schönheiten von Inishbofin muss man sich erwandern.

Foto: ho

Die Bootsfahrt dauert nicht lang. Allerdings wird die Zeit knapp. Das Wasser fällt, bald kann die kleine Fähre nicht mehr anlegen. Doch dann bricht die Sonne durch die Wolken. Der Blick über die verlassenen Häuser von Inishshark ist zum Weinen schön. Und neben mir stapft Tommy Burke wie ein geduldiger Bär durchs Gras und beantwortet alle Fragen.

Autorin Yvonne Hofer ist seit über zehn Jahren regelmäßig an der irischen Westküste unterwegs. Bevorzugte Regionen: Clare, Galway und Mayo. Inishbofin ist unter den Inseln ihr Favorit.

Foto: ho

1960 sind die letzten 26 Einwohner von hier umgesiedelt worden — fast gegenüber, nach Claggaduff. Sicherheitshalber wurden die Dächer von Kirche und Schule zerstört. "Keiner sollte auf die Idee kommen, zurückzukehren", erklärt Tommy.

Der weiße Leuchtturm und die Festungsruine - die Hafeneinfahrt von Inishbofin.

Foto: ho

"Sag mal, gibt's hier eigentlich Wachtelkönige", will ich von ihm wissen. Er schaut mich mit seltsamem Gesichtsausdruck an. "Ob es die hier gibt? Ich habe hier mal gezeltet. Die ganze Nacht durch haben sich diese bescheuerten Vögel drangehalten. Ich hätte denen den Hals rumdrehen können!" Ich hätte schwören können, dass da irgendwo ein "Rrrep - rrreep" zu hören war.

Caroline Concannon betreibt seit 17 Jahren "The Galley", ein kleines Restaurant im East End Village von Inishbofin. Ein B&B und ein Appartment für Selbstversorger gehören auch dazu. Carolines Angebot ist überwiegend hausgemacht.

Foto: ho

In diesem Moment steht Billie Munlow vor mir. Er fährt Besucher gerne in seinem Jeep über Inishbofin. Jetzt steht er auf dem leicht glitschigen Weg zum Bootsanleger, breitet die Arme aus, knipst sein schönstes Lächeln an und ruft: "Das hier, das ist der Garten Eden."

"Wie im Garten Eden!" - Für die Seehunde scheint das zuzutreffenn

Foto: ho

Ich sitze schon im Boot und denke noch "Vielleicht geht's auch ein bisschen kleiner, als Garten Eden". Und dann sehe ich sie. Nein, keine Wachtelkönige. Eine Seehundkolonie. Dunkle Augenpaare schauen uns neugierig entgegen. Aus dem Wasser, vom Felsen. Billie grinst mich an. Vielleicht hat er doch nicht ganz unrecht.

Gleich zwei schöne Strände gehören zum East End Village.

Foto: ho

Auf dem Heimweg vom Hafen weiß ich genau, was passiert. "Rrrep - rrreep". Es ist mir egal. Inishbofin ist schön, auch wenn ich das seltene Federvieh nicht zu sehen bekomme.

Auf Höhe des Friedhofs höre ich eine Möwe. Ich könnte schwören, sie hat "Amen" gerufen. In der Ferienwohnung angekommen, ist mein Strom-Adapter verschwunden. Inselkoller? Gespenster?

Caroline schwört Stein und Bein, dass es bei ihr nicht spukt. Sie schaut mich an. Jetzt hat auch sie mitbekommen, dass da eine kleine Schraube bei mir locker ist. "Dermot besorgt dir einen anderen Adapter!" Irischer Pragmatismus. Den erlebe ich auch, als ich nach einer langen Wanderung vor dem Doonmore Hotel in der Sonne sitze.

Vor mir dümpelt ein großes Stück Sticky Toffee Pudding in warmer Karamellsoße vor sich hin, während ich langsam Sahne dazu löffel. Wie hypnotisiert ergebe ich mich den Wonnen dieser hochkalorischsten aller irischen Kalorienbomben. Und werde aus meinen Karamellträumen geweckt als jemand vor mir steht und mit einer Flasche Sonnencreme winkt.

Andrew Murray, ist der Hotel-Chef. Und offensichtlich ein umsichtiger Mann. Denn die irische Sonne hat schon manch ahnungslosen Touristen gequält. Weshalb ich niemals ohne Lichtschutzfaktor 50 reise. Das gibt ein Daumen hoch von Andrew und ich widme mich wieder meinem Kuchen.

Nach dieser Völlerei darf es noch ein bisschen Bewegung sein. Der Middle Quarter Loop im Herzen der Insel steht an. Er beginnt in einer Moor-Ebene und geht dann langsam hinauf bis zur zweithöchsten (288 Meter) Erhebung der Insel. Beim Aufstieg schimmert mir durch das noch braune Gras etwas Rotes entgegen. Kleine Moor-Monster von zarter Schönheit: Sonnentau, eine Fleisch fressende Pflanze. Der Hang steht so voll, dass es eine Pracht ist.

Als wahre Pracht entpuppt sich auch die Vogelwelt der Insel: Schwalben, Rot- und Schwarzkehlchen, Fasane, Zaunkönige, Bluthänflinge, Zeisige, Singdrosseln, Kiebitze, Austernfischer und natürlich der Wachtelkönig. Oder wenigstens seine Stimme. Als ich mich am Abreise-Tag auf den Weg zur Fähre mache, werde ich mit "Rrrep - rrreep" verabschiedet. In zartem Stereo-Klang, von beiden Seiten des Wegs. Für mich bleibt er ein Phantom. Vorerst. Aber, pass gut auf, du komischer Vogel, ich komme wieder nach Inishbofin!