Musiker Midge Ure Zurück in das Jahr 1980
Mit seinen Bands Visage und Ultravox hat er Musikgeschichte geschrieben und für zeitlose Kompositionen, die weit über die 1980er-Jahre hinausreichen, gesorgt. Seine anschließenden Soloalben erreichten Platinstatus. Und auch sein Engagement für das Benefizkonzert „Live Aid“ im Jahr 1985 gegen die damals akute Hungersnot in Äthiopien wurde Kult. Am 14. Dezember wird der Schotte Midge Ure ein Gastspiel im Düsseldorfer Stahlwerk geben. Der Düsseldorfer Anzeiger traf den Komponisten und Musiker vorab zum Interview.
Mr. Ure, für Sie ist ein Aufenthalt in Düsseldorf nicht neu. Sie spielten bislang nicht nur zahlreiche Konzerte in der Stadt, bereits Ende der 1970er-Jahre waren Sie sogar einmal für längere Zeit hier...
Ich kenne Düsseldorf ziemlich gut, stimmt, und habe tatsächlich einige Zeit zwischen Köln und Düsseldorf verbracht. Ich bin also so etwas wie die wohlwollende Verbindung dieser beiden Städte zueinander...
Weil Sie damals mit Ihrer Band Ultravox bei dem deutschen Toningenieur und Produzenten Conny Plank in dessen Studio in Wolperath bei Köln gearbeitet haben.
Genau, ich hatte mich der Band, die bereits zuvor bei Conny aufgenommen hatte, 1979 angeschlossen. Ich mochte das Album „Systems of Romance“ und dessen Klang sehr und drängte darauf, noch einmal mit Plank zu arbeiten, obwohl ich ihn bis dahin nicht persönlich kennengelernt hatte. Und schließlich haben wir unser erstes gemeinsames Ultravox-Album mit dem Titel „Vienna“ dann tatsächlich drei Monate lang bei ihm produziert. Weil aber sein Tonstudio auf dem Land in Neunkirchen-Seelscheid lag und wir hin und wieder auch einmal von dort fliehen wollten, sind wir in dieser Zeit sehr häufig nach Düsseldorf gefahren. Dort gab es schließlich dieses leckere asiatische Essen und die zahlreichen asiatischen Supermärkte, in denen wir uns immer Nudeln kauften.
Wie beeinflusste Conny Plank Ihre Art, Musik zu komponieren und aufzunehmen?
Für uns war es wichtig, wie Conny die Mischung unseres sehr unterschiedlichen Instrumentariums wahrnahm und verstand. Es stand bei ihm nicht allein die Elektronik im Vordergrund, die wurde schließlich auch nur ein Aspekt der Platte. Wenn man sich zum Beispiel den Song „Vienna“ anhört, dann stellt man fest, dass es ein elektronisches Schlagzeug und eine Synthesizer-basierte Grundlinie gibt. Es gibt aber auch ein rein akustisch eingespieltes Klavier, einen Solosynthesizer und eine Bratsche. Eine schräge Art der Instrumentenzusammenstellung. Und trotzdem gilt das Stück bis heute als ein herausragendes Stück elektronischer Musik. Auch wenn wir elektronische Instrumente verwendet haben, so ist es tatsächlich aber einfach nur ein extrem gut produziertes Musikstück. Häufig liegt in der Wahrnehmung und Bewertung eines Songs leider die Betrachtung zu sehr auf den verwendeten Instrumenten als auf der Idee, die einem Stück zu Grunde liegt.
Bei Ihren Ausflügen nach Düsseldorf lernten Sie schließlich auch zahlreiche Musiker aus der Stadt kennen.
Ja, wir haben uns zum Beispiel mit den Jungs von „La Düsseldorf“, etwa mit Klaus Dinger, getroffen. Zu dieser Zeit gab es dort einige schräge, aber auch sehr kreative Leute. Conny Planks Studio war so etwas wie eine Anlaufstelle für zahlreiche Musiker. Die Leute von der Band Can waren häufig dort, wir haben da aber auch die Frühphase der Band Eurythmics erlebt.
Das Motto Ihrer anstehenden Tour lautet „1980“.
In diesem Jahr erschienen gleich zwei erfolgreiche Platten: das erste Visage-Album und das Album „Vienna“ von Ultravox. Tatsächlich war ich an beiden Platten beteiligt und werde sie auf der aktuellen Tour gemeinsam mit meiner Band im Rahmen ihres dann rund 40-jährigen Jubiläums spielen. Insbesondere viele der Visage-Stücke wurden zuvor nie live aufgeführt. 1980 war aber auch ein sehr wichtiges Jahr für die Musikgeschichte insgesamt, das Komponieren war zu dieser Zeit etwas sehr besonderes, es wurde in diesem Jahr regelrecht revolutioniert. Etwa durch den Einsatz von Synthesizern, Drum Machines und durch die Möglichkeit des Homerecordings. Eine unbeschreibliche Zeit, weil das erste Mal nicht mehr der Klang der akustischen Instrumente allein vorgab, was man mit ihnen machen konnte, sondern auf einmal die kompositorische Idee in den Vordergrund trat. Insbesondere in Düsseldorf äußerte sich diese plötzliche Freiheit musikalisch hörbar. Die Musiker der Band Kraftwerk zum Beispiel waren zwar klassisch ausgebildet, nutzen aber die elektronischen Möglichkeiten, um ihre musikalische Kreativität deutlich auszudehnen.
Ihnen, so erzählten Sie mir im Rahmen eines früheren Interviews einmal, fiel es in den 1980er-Jahren deutlich leichter, Songs zukomponieren als heutzutage. Woran liegt das?
Nun, letztlich steht man in einem Wettbewerb mit sich selbst. Je mehr man geschaffen hat, desto schwerer wird es, Neues zu machen. Es ist so, als müsse man in einer Mine immer tiefer graben, um an die wirklich guten Ideen zu kommen. Wirklich neue Melodien und Textideen, die nicht bloß Wiederholungen des alten Materials sind, sind dann immer schwieriger zu entwickeln. Das muss aber nicht unbedingt das Schlechteste sein, es hilft schließlich auch dabei, sich weiterentwickeln zu können.
Ihr Kollege Nik Kershaw erzählte mir neulich, dass er so etwas wie einen Vertrag mit dem Publikum, das zu seinen Konzerten kommt, eingehen würde. Das Publikum, so Kershaw, komme, um primär die alten Songs zu hören, im Gegenzug werden aber auch seine neuen Songs wohlwollend aufgenommen. Ist das bei Ihnen auch so? Kommen die Menschen aufgrund der alten Hits zu Ihnen?
Natürlich. Die aktuelle Tour ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Ich wurde auch schon gefragt, warum ich überhaupt an neuen Songs arbeite, obwohl ich doch nun mit dem alten Material auf Tour gehe. Manchmal, so denke ich, muss man die Menschen einfach daran erinnern, was man schon alles gemacht hat. Und warum man aktuell dort angekommen ist, wo man ist. Letztlich aber auch, um das Publikum musikalisch mitnehmen zu können in die Zukunft. Natürlich werden insbesondere zur aktuellen Tour zahlreiche Menschen aufgrund der beiden Alben „Visage“ und „Vienna“ kommen. Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die gar nicht wissen, dass ich zum Beispiel für den Song „Fade to grey“ verantwortlich bin, dass ich ihn geschrieben und produziert habe. Sie kennen mitunter meinen Hintergrund nicht und nehmen mich zwar als einen Musiker der Band Ultravox wahr, aber wenn sie, losgelöst davon, nur meinen Namen hören, dann fragen viele nur: „Wer?“. Manchmal muss man also Menschen einfach erinnern und an Bord holen, auf dass sie auch meine aktuellen Platten wie etwa „Fragile“ kennenlernen und entdecken können.