„Freigeist“ ist die Schau untertitelt und diese Einordnung beschreibt die grundsätzliche Charakteristik des in einem „liberalen Oberkasseler Elternhaus“ aufgewachsenen Bildhauers und Kommunikationsdesigners. Tilly, der die Aufklärungsideen verbreitende Giordano-Bruno-Stiftung unterstützt, spricht gesellschaftliche Missstände an, oft in einer Form, die sofort zündet. Das wird bei Donald Trumps stilisierter Vergewaltigung der Freiheitsstatue als Mottowagen ebenso deutlich, wie bei seinen jugendlich-wütenden frühen Karikaturen von Franz Josef Strauß.
Die Retrospektive von „fast 60 Jahren Arbeit“ (Tilly) bringt auf rund 500 Quadratmetern (Suanne Anna: „Wir haben jeden Zentimeter genutzt“) das künstlerische, aber auch private Leben des 61-Jährigen zur Geltung. Da finden seine 87 Kinderzeichnungen ebenso Platz - sein Erstling „Der Käfer“ in Acryl von 1966 ist zu sehen - wie sein Kinderstuhl. Es gibt Entwürfe, humorig gezeichnete Stadtansichten, Fotos, Korrespondenz. Die Arbeit von ihm und seinem Team rückt näher heran. „Wir holen die Wagenbauhalle in Bilk in den musealen Kontext“, beschreibt das Susanne Anna. „Zeigen das Werden der Werke.“
Dass auch Ältere davon nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hätten, „sagt“, so Anna, „viel über den Zustand unseres Planeten aus.“ Tilly zeige die „überspitzte“ Realität. Dies kommt etwa bei den satirischen Großplastiken, die beim Brexit oder dem katholischen Weltjugendtag Verwendung fanden, zur Geltung. Vor allem natürlich bei den weltweit aufsehenerregenden Aufbauten für die Mottowagen des Düsseldorfer Rosenmontagszuges. Putin in Blut, Trump sowieso, „Hohlaf Scholz“; Tilly illustriert die - Achtung überspitzt - Nemesis der Menschheit.
„Nach langer Zeit bin ich für die Vorbereitung dieser Ausstellung mal wieder mit meiner Kinder- und Jugendzeit konfrontiert worden“, sagt Jacques Tilly. Er erzählt von kindlicher Kreativität: „Eigene Dino-Filme im Stop-and-Go-Verfahren“ hätte er als Steppke fabriziert, die „Augsburger Puppenkiste nachgebaut und abgefilmt.“ Er schmunzelt: Die Eltern hätten echt viel aufbewahrt. Und: Deren „freie aber nicht antiautoritäre Erziehung“ war gut für mich und meine Arbeit.“ Wenn er sich seine frühen Werke anschaue, sehe er da Energie und Schaffenskraft, trotz zeichnerisch „sicherlich nicht überragendem Talent.“
Er will noch ein „paar Jahre“ Wagenbauer für den Rosenmontagszug in Düsseldorf bleiben. Dann der schrittweise Rückzug. „Ab und zu weiter Ideen liefern ja, bauen dann eher nicht mehr.“ Er wolle im Urlaub auch mal ohne Zeichenkladde am Strand liegen. Eins aber ändere sich nie: sein Einsatz gegen das Autoritäre, Diskriminierende, Ausgrenzende, Machtmissbrauchende. Derzeit sehe er sich zu einem „wichtigen Seitenwechsel“ veranlasst. „Ein Satiriker hat in der Regel ein kritisches Verhältnis zum herrschenden System. Angesichts der derzeitigen Realitäten im Land und auf der Welt stellen wir uns als Künstler und Satiriker nun davor - um es vor seinen Feinden zu schützen.“