Der Oberkasseler Buch-Tipp „Judas“ von Amos Oz

Schmuel Asch bricht Anfang Dezember 1959 sein Studium ab.Er verzweifelt an seiner Magisterarbeit "Jesus aus der Perspektive der Juden."

Außerdem gerät sein Vater in finanzielle Schwierigkeiten und kann ihn nicht mehr unterstützen. Seine Freundin verlässt ihn, um einen anderen zu heiraten.

Schmuel ist ihr zu unfertig, zu träge und müde, jeder Tag mit ihm ist wie ein Hindernisrennen. Nun ist er allein und einsam. Er findet eine Anzeige an einem schwarzen Brett. Jemand wird gesucht, der einem älteren Herrn Gesellschaft leistet.

Er überlegt nicht lange und meldet sich. Gegen Kost und Logis und ein geringes Entgelt wird er im Hause Gerschom Walds aufgenommen, der dort mit Atalja Abrabanel lebt.

Viele Stunden verbringt Schmuel nun mit dem alten Herrn, diskutiert mit ihm und hört ihm bei seinen täglichen Telefonaten zu, ohne zu wissen, wer sich am anderen Ende der Leitung befindet. Atalja, eine Frau von fünfundvierzig Jahren, zieht ihn an und scheint unerreichbar.

Der Roman dreht sich um die Themen Liebe, Religion und Politik. Wobei die Religion und die Person Judas viel Raum einnehmen. Judas, der Jesus überredete nach Jerusalem zu gehen und ihn verriet. Wie wird diese Person in den verschiedenen Religionen dargestellt?

War Jesus ein Christ oder ein Jude? Diese und viele weitere Punkte besprechen die Herren abends in der Bibliothek. Schmuel ist und bleibt Atheist und die Frage wird aufgeworfen, ob man über Religion streiten kann. Oder über Politik, die in Israel bis zum heutigen Tag ein schwieriges und konfliktbeladenes Thema ist.

Wir erfahren einiges aus der Zeit der Staatsgründung Israels. Mit der Zeit entfalten sich die Lebensläufe der drei Protagonisten und wie sie mit der Staatsgründung verbunden sind.

Die Personen drehen sich um sich selbst, als hätten sie, nachdem was ihnen in den Jahren und Jahrzehnten passiert ist, keine Geschichte mehr. Sie stehen still und verkriechen sich in einem Haus, in dem jeder für sich bleibt. Die Zukunft wird ausgeklammert.

Jeder kann zu einem Judas, zu einem Verräter werden. Jeder wird irgendwann zu einem Judas. De Gaulle. Ben Gurion. Abraham Lincoln. Und viele andere. Ist ein Judas ein Verräter oder ein Befreier?

Auf Seite 273 heißt es: "... wer den Mut hat, sich zu verändern, wird immer von jenen als Verräter bezeichnet werden, die zu keiner Veränderung fähig sind und eine Heidenangst vor Veränderungen haben, die Veränderungen nicht verstehen und sie ablehnen …"

Amos Oz, geboren 1959 in Jerusalem, ist einer der international bekanntesten israelischen Schriftsteller. Er vermag es, mit wenigen Sätzen Atmosphären entstehen zu lassen.

Seine Sprache ist bildreich, ohne überladen zu sein. Amos Oz versteht sein Handwerk. Ich empfehle das Buch literarisch interessierten Lesern.

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