Interview mit Lena Meyer-Landrut „Ich bin keine Zicke“

Lena Meyer-Landrut hat Millionen Follower auf ihren Social-Media-Kanälen. Voriges Jahr verordnete die Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin von 2010 („Satellite“) sich eine Online-Diät, um ihr fünftes Album in Ruhe fertig stellen zu können. Es heißt „Only Love, L“ und wurde mit dem erfolgsverwöhnten Berliner Produzententeam Beatgees (Cro, Alice Merton, Namika) realisiert.

Nur die Liebe zählt: Lena Meyer-Landrut.

Foto: CMS Source

Die gebürtige Hannoveranerin hat eine persönliche Krise in tanzbare Rhythmen mit positiven Botschaften verwandelt. Die Songs handeln von Selbsterkenntnis, Stärke und Selbstliebe. Lenas Botschaft: Man kann nicht die ganze Welt verändern, aber man kann bei sich selbst anfangen. Olaf Neumann hat mit der 27-jährigen Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin gesprochen.

„Only Love, L“ ist Ihr fünftes Album. Worauf haben Sie bei dem Album besonderen Wert gelegt?

Ich habe schon vor dreieinhalb Jahren angefangen, an dem Album zu schreiben. Als es fast fertig war, habe ich es weggeschmissen, weil ich mich damit nicht wohl gefühlt habe. Ich hatte die eine oder andere persönliche Krise und das Album hatte auf einmal keinen authentischen Boden mehr. Nach einer Auszeit habe ich wieder angefangen, und es wurde mir klarer, worum es in dem Album gehen soll.

Worum denn?

Um meine Geschichte und meine Gefühle. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtig ist, zu mir selbst zurückzufinden und authentisch handeln zu können. Ich habe dann über Themen geschrieben, über die ich noch nie geschrieben habe.

Welche Themen sind das?

Zum Beispiel über Autobiografisches und über echte, tiefe Gefühle. Über Veränderungen, die ich durchmache und sehr private Gedanken.

„Only Love, L“ lautet Ihre Signatur, weil Sie der Meinung sind, dass man alles mit Liebe abschließen sollte. Haben Sie als Künstlerin einen poetischen Blick auf die Liebe?

Mein Blick auf die Liebe verändert sich auf jeden Fall immer, weil er vom Moment abhängig ist. Es gibt familiäre, platonische und romantische Liebe; für mich war in den letzten Jahren die Selbstliebe super wichtig. Ich bin ein Fan davon, offen und transparent zu sein.

Wie schlimm war die Krise, in die Sie hineingeschlittert waren?

Es war ermüdend. Ich war bedrückt und traurig. Der Spaß und die Freude an den Dingen stand bei mir nicht mehr im Vordergrund. Irgendwann habe ich die Reißleine gezogen, weil eine grundsätzliche Unzufriedenheit bei mir herrschte.

Fühlen Sie sich als Künstlerin verstanden?

Ich glaube, man fühlt sich nie so richtig verstanden, weil es immer mindestens 18 verschiedene Meinungen über einen gibt. Ich kriege immer sehr viel Feedback. Ich fühle mich in dem Sinne verstanden, als dass ich mich im Moment wohl fühle. Mehr kann ich nicht machen. Ich kann nicht erwarten, dass das, was ich ausdrücken will, auch bei jedem Hörer ankommt. Eine Person des öffentlichen Lebens ist eine Projektionsfläche. Jeder sieht in ihr das, was er gerade braucht. Ich fühle mich von mir selbst verstanden, weil ich den Mut besitze, so ein ehrliches Album herauszubringen.

Welches ist das größte Missverständnis, das in der Öffentlichkeit über Sie existiert?

Da gibt es so einige. Am meisten berührt mich die Voreingenommenheit, dass ich zickig und arrogant sei. Das habe ich aber gar nicht in mir! Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken darüber gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich in der Vergangenheit wahrscheinlich so verhalten habe.

Sie bespielen die verschiedensten sozialen Medien. Lesen Sie die ganzen Kommentare auf Ihren Internetseiten?

Es ist nicht zuträglich, sich zu viel durchzulesen. Das ist gefährlich, weil man sich damit selber vergiftet. Ich bin sehr aktiv im Netz, das heißt aber nicht, dass ich mir immer alle Kommentare durchlese.

In „Thank you“ beschreiben Sie, wie Sie die Hass-Kommentare und die Kritik an Ihrer Person während Ihrer Auszeit von der Musik verarbeitet haben. Ist das Ihre Art, mit Mobbing umzugehen?

In dem Song bedanke ich mich bei all dem, was mir an Schlechtem so passiert ist. Auf diese Weise kann ich gelassener durchs Leben gehen. Ich sehe die Momente, in denen es mir schlecht ging und benutze sie, um daraus zu lernen. Sie sind für mich ein Wendepunkt, ein Neustart.

Macht ein gebrochenes Herz kreativ?

Jedes Gefühl macht kreativ, vor allem, wenn man aufmerksam ist und Gefühle wie Schmerz und Freude sofort aufschreibt. Andernfalls würde man sie ganz schnell wieder vergessen.

Sind Künstler sensibler als „normale“ Menschen?

Das würde ich so nicht sagen. Viele Menschen, die keine Künstler sind, sind hoch sensibel. Aber Sensibilität führt vielleicht dazu, dass ein Künstler sich viele Stunden des Tages mit sich selbst beschäftigt. Dadurch denkt er mehr über seine Emotionen nach und wird höchstwahrscheinlich auch sensibler für andere Emotionen.

Wie viel sind Sie bereit, von sich preiszugeben?

In der Musik kann ich viel offener sein als in Interviews. Wobei ich finde, dass ich da auch schon sehr offen bin, was meine Person angeht. Vorletztes Jahr habe ich zum Beispiel einen autobiografischen Song über meinen Vater veröffentlicht, „If I Wasn’t Your Daughter“. Fragen zu meinem Vater sind mir zu intim, die möchte ich nicht beantworten. Aber in meiner Musik kann ich mir erlauben, meine Emotionen zu besingen.

Über Lena Meyer-Landrut

Lena Meyer-Landrut wurde am 23. Mai 1991 in Hannover geboren und wuchs als Einzelkind bei ihrer Mutter auf. Ohne Bühnenerfahrung und ohne je Gesangsunterricht gehabt zu haben, vertrat sie Deutschland beim Eurovision Song Contest 2010, den sie mit dem Song „Satellite“ auch gewann. Als musikalische Vorbilder nennt Meyer-Landrut unter anderem Clueso, Adele, Kate Nash, Vanessa Carlton und die deutsche Popgruppe Wir sind Helden. Aufgrund ihres eigenwilligen Stils wird sie zuweilen mit der isländischen Sängerin Björk verglichen. Bis heute hat Meyer-Landrut fünf Alben aufgenommen und drei Nummer-Eins-Erfolge in den Media Control Charts erzielt. 2017 wirkte sie an der vierten Staffel von „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ mit, und 2019 kehrte sie als Coach zu der Talentshow „The Voice Kids“ zurück.

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