"In Oberkassel wohnen die Schönen, Reichen und ich mit meiner Familie" Tilly zeigt uns sein Düsseldorf
Er ist ein Mann, der gerne redet. Und er ist ein Mann, dem man gerne zuhört. 70 Düsseldorfer wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit Jacques Tilly auf Stadtrundfahrt zu gehen. Erfolgreicher Start der neuen Reihe "Mein Düsseldorf".
Der Düsseldorfer Karneval wäre ohne Jacques Tilly nicht das, was er heute ist. Seine satirischen, pointierten, bösen, politischen Mottowagen im Rosenmontagszug haben den närrischen Höhepunkt in der Landeshauptstadt international berühmt gemacht. Die Wagen, die müssen knallen. Dass Tilly aber auch sehr viel feinsinnigeren Humor kann, beweist er jetzt im knallroten Doppeldecker-Bus bei einer sehr persönlichen Stadtrundfahrt.
Frank Schrader, Geschäftsführer von Düsseldorf Tourismus, hatte die Idee. Bekannte Persönlichkeiten sollen ihr Düsseldorf vorstellen. Die kompletten Einnahmen der Fahrt werden gespendet. Der jeweilige Promi sagt, wofür. Bei Tilly geht alles ans Düsseldorfer Frauenhaus.
Wie sehr sich die Leute für den Menschen hinter den Karnevalswagen interessieren, zeigt die Resonanz. "Die Fahrt war innerhalb von zehn Minuten ausverkauft", sagt Schrader.
Jacques Tilly hat Hausaufgaben gemacht, sich gründlich auf die Tour vorbereitet. Vom Startpunkt am Hauptbahnhof geht's zunächst ins Epizentrum des Düsseldorfer Karnevals: in die Wagenbauhalle in Bilk.
Auf dem Weg dorthin sinniert Tilly über die Beziehungen zwischen Düsseldorf und Köln. Die Karnevalisten aus der Domstadt wollten ihn sogar mal abwerben. Aber die Selbstbesoffenheit der Kölner, die sei dann doch schwer zu ertragen.
Tilly mag seine Heimatstadt. "Aber nicht, weil ich hier geboren bin. Das ist noch lange kein Grund, einen Ort besonders toll zu finden." Neun Jahre studierte er in Essen. Und dort musste er feststellen: Düsseldorf ist schön. Und überhaupt - der Rheinländer. "Der quasselt ja gerne!" Der Westfale verstünde meist noch nicht einmal, worüber wir lachen.
Eigentlich wollte der junge Jacques an die Düsseldorfer Kunstakademie. "Da bin ich mit 14 mal hineinspaziert, um mir alles anzugucken." Damals war er ein Verehrer der Düsseldorfer Malerschule. Doch in der Akademie raunte ihm jeder zu: "Bloß nicht gegenständlich malen!"
Also studierte er schließlich Kommunikationsdesign in Essen. Das dauerte ein bisschen länger, weil er in der Zwischenzeit die Arbeit in der Wagenbauhalle für sich entdeckt hatte. "Da habe ich damals schon gutes Geld verdient und in Essen immer Studentenpartys geschmissen. Deswegen habe ich auch neun Jahre studiert..."
Der Bus hält an der Wagenbauhalle, die Teilnehmer dürfen hinein. "Das ist die schönste Wagenbauhalle, die ich kenne", schwärmt Tilly. "Das war hier 1994 eigentlich als Provisorium gedacht." Doch dann habe es unter den Karnevalisten einen Putsch gegeben. Hermann Schmitz habe schließlich dafür gesorgt, dass "sehr gute Leute installiert wurden". Die Wagenbauhalle wurde zur festen Einrichtung.
Weiter geht's nach Oberkassel. "Da wohnen die Schönen, Reichen und ich mit meiner Familie."
Auf der Düsseldorfer Straße, da wohnte seine erste Freundin. Silke. "Wir haben ständig im Hauseingang geknutscht!" Das Comenius-Gymnasium hat er besucht. Wie sein Vater, Bruder und seine Kinder. Trotzdem wird er manchmal noch gefragt, ob er denn Deutscher sei. Wegen des Namens.
Sein Humor kommt an. So nah waren die Tour-Teilnehmer Jacques Tilly noch nie zuvor. Es wird viel gelacht. Und auf seine unnachahmliche, leichtfüßige Art und Weise schließlich schafft er den Übergang vom locker-flockigen Geplauder zu einem der Themen, die ihn besonders bewegen.
"Ich war neun Jahre alt, als mich ein Freund auf dem Spielplatz fragte, ob ich Adolf Hitler kennen würde." Der Freund erklärte ihm schließlich, dieser schnauzbärtige Mann habe Juden zusammengetrieben, sie sich ausziehen lassen und im Gas ermordet. "Das Thema", sagt Tilly, "hat mich nie wieder los gelassen."
Und so erzählt er nun von den letzten Kriegstagen in Düsseldorf. Vom Gauleiter Florian, der den anrückenden Alliierten ein Düsseldorf in Schutt und Asche hinterlassen wollte. Von den mutigen Männern der Aktion Rheinland, der Widerstandsgruppe um Karl August Wiedenhofen, die Florians Plan vereitelten.
Die Fahrt geht weiter zum Nordpark, an dessen Eingang heute noch die beiden Rossebändiger stehen. Geschaffen wurden sie für die Messe "Schaffendes Volk", eine Propagandaausstellung der Nationalsozialisten 1937. "Als die Statuen halb fertig waren, gingen Fotos davon nach München." Und wurden schnurstracks als "entartete Kunst" eingestuft. Der Künstler erhielt Berufsverbot, "und die Düsseldorfer Nazis waren blamiert bis auf die Knochen."
Die Stadt hatte keinen leichten Stand. "Hitler hat sich abfällig über Düsseldorf geäußert. Er soll gesagt haben 'Wenn ich der Rhein wäre, würde ich mich schämen, an Düsseldorf vorbei zu fließen.'"
Die Teilnehmer erfahren: Auch die weiße Siedlung in Golzheim stammt aus jener Zeit. "Das war 1937 eine Mustersiedlung und Teil der Ausstellung 'Schaffendes Volk'." Heute erinnern die Straßennamen hier an die Männer des Widerstands.
"Das schönste Haus hatte sich der Gauleiter Florian unter die Nägel gerissen", erzählt Tilly. Und prompt seien anonyme Flugblätter aufgetaucht mit der Frage "Florian, woher hast du die 50.000 Reichsmark?" Der Nazi schrieb 5.000 Reichsmark Belohnung aus, auf die Ergreifung des Verfassers. Auf dem nächsten Flugblatt stand: "Florian, woher hast du die 55.000 Reichsmark?"
Jacques Tilly weiß: "Je schlechter die Zeiten, desto besser für Satiriker." Dicker Applaus von den begeisterten Teilnehmern.