In welchem Verhältnis stehen Demokratie und Wissenschaft? Kommt der Wissenschaftler in Ihnen manchmal in Konflikt mit dem Parlamentarier?
Dr. Karl Lauterbach im Interview über Segen, Fluch und Morddrohungen „Nie erwartete Hasswelle“
Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach (58) ist eines der bekanntesten Gesichter in der öffentlichen Debatte in der Corona-Krise in Deutschland. Er steht im Spannungsfeld zwischen respektierter wissenschaftlicher Expertise und schrillen, teilweise strafrechtlich relevanten Beschimpfungen. Sven Lilienström aus Kaarst, Gründer der Initiative „Gesichter der Demokratie“ (siehe Kasten), spricht mit ihm im Interview, das der Düsseldorfer Anzeiger hier in Auszügen abdruckt, über die Rolle als omnipräsenter Corona-Mahner und die Frage, ob man sich an Morddrohungen „gewöhnen“ kann.
Herr Prof. Dr. Lauterbach, was bedeutet Demokratie für Sie ganz persönlich?
Demokratie ist für mich selbstverständlich - das heißt, demokratische Werte wie Freiheit oder Menschenrechte stehen für mich überhaupt nicht zur Diskussion.
Ja schon, aber das ist ein konstruktiver Konflikt. Natürlich kommt es vor, dass wissenschaftlich belegte Tatsachen politisch nicht „opportun“ sind. Das kann - politisch gesehen - bisweilen eher Nachteile als Vorteile bringen. Auf der anderen Seite kann gute Politik ohne die feste Verankerung in der Wissenschaft nicht funktionieren.
Gefährdet Corona die Demokratie in Deutschland?
Nein, auf keinen Fall! Die Demokratie hat in Deutschland keinen Schaden genommen. Obwohl die AfD als einzige nicht demokratische Partei im deutschen Bundestag seit Monaten versucht, das Thema Corona zu instrumentalisieren, konnte sie bislang nicht davon profitieren. Die demokratischen Parteien und Institutionen sind nicht schwächer geworden. Richtig ist, wir sind als Land nicht ganz so gut durch die Pandemie „gekommen“, wie wir es hätten können. Das liegt jedoch nicht an der Demokratie.
Mit über 384.000 Followern sind Sie erfolgreich auf Twitter unterwegs. Welche Rolle spielen die sozialen Medien für Sie und wie vertragen sich 280 Zeichen mit der komplexen Welt der Epidemiologie?
Sie spielen eine immer wichtigere Rolle, nicht nur für mich. Ohne die sozialen Medien ist es nicht möglich bestimmte Diskurse zu prägen - oder zumindest deutlich schwerer. Vor diesem Hintergrund sind sie „Segen und Fluch“ zugleich. Werden sie in der Form genutzt, dass Demokratie und Wissenschaft gestärkt werden, sind sie ein Segen. Werden sie missbraucht, um Wissenschaft zu entwerten und demokratische Werte in Frage zu stellen, sind sie ohne Zweifel ein Fluch.
Kürzlich sagten Sie, der Hass gegen Ihre Person stelle alles Bisherige in den Schatten. Kann und darf man sich etwa an Morddrohungen „gewöhnen“?
Leider gewöhnt man sich tatsächlich daran - zumindest ein Stück weit. Das lässt sich meiner Meinung nach kaum verhindern, da man ansonsten ständig in Angst und Schrecken leben muss. Auf der anderen Seite ist es wichtig, Sicherheitsangebote, die Politikern und Menschen mit Morddrohungen zustehen, auch wahrzunehmen. Das tue ich natürlich. Klar ist: Die Verrohung im Netz oder die Hasswelle, die jetzt über uns hereinbricht, hätte ich mir in diesem Ausmaß nie vorstellen können.
Ihre Kritiker sehen in Ihnen den ewigen Corona-Mahner. Wünschen Sie sich manchmal Ihr „altes Leben“ zurück?
Ich denke, wir wünschen uns alle unser altes Leben zurück. Das gilt natürlich auch für mich. Ich lege jedoch immer Wert darauf zu sagen, dass ich nicht nur mahne, sondern auch Lösungen vorschlage.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was unternehmen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten und haben Sie sich schon etwas für die Zeit nach Corona vorgenommen?
Das Wichtigste für mich ist, Zeit mit meinen Töchtern zu verbringen. Und natürlich habe ich mir Dinge für die Zeit nach Corona vorgenommen, dazu zählt insbesondere auch wieder das Reisen. Ich würde mich sehr freuen, mal wieder nach Südfrankreich reisen zu können.