Leichtathletik für Gehörlose bei 04 Lierenfeld Ohne große Töne
Der Sportverein Düsseldorf 04 Lierenfeld ist ein Verein mit Tradition. Seit über 110 Jahren bietet er in der Stadt und weit darüber hinaus seine vielfältigen Sportangebote an. Neben der Fußballabteilung wird insbesondere die Leichtathletik im Vereinsportfolio groß geschrieben. Bundestrainer Dr. Guido Kluth trainiert neben hörenden Athleten nun auch Menschen mit Höreinschränkung und treibt damit auch den Inklusionsgedanken innerhalb des Traditionsvereins voran.
„Über vieles macht man sich als hörender Mensch keine Gedanken“, weiß Alessia Melchiorré. Die 19-jährige Medizinstudentin ist selbst höreinschränkt, wuchs jedoch in einer Familie ausschließlich hörender Menschen auf. Obwohl sie einst Hörgeräte und heute Cochlea-Implantate trägt, begann sie ihre Karriere als Leichtathletin zunächst in einem Sportverein für hörende Menschen, bevor sie schließlich auch in der Gehörlosenabteilung des DSV 04 auf der Ernst-Poensgen-Bezirkssportanlage am Wilhelm-Heinrich-Weg 2 das Training aufnahm.
„Noch wissen nicht viele, dass es uns gibt“, erzählt ihr Trainer Dr. Guido Kluth, selbst ehemaliger Deutscher Topsprinter, der das gemeinsame Training von Hörenden und Gehörlosen betreut und damit auch den Inklusionsgedanken des Vereins vorantreibt. Der fördert den barrierefreien Umgang auf der einen Seite und stärkt die Verständigung mit Gebärden, aber auch mit Händen und Füßen bei Hörenden auf der anderen Seite. „Gerade Kinder“, so Kluth, „die frühzeitig die Verständigung mit Gebärden lernen, vernetzen schneller Hirnsynapsen und können dadurch effektiver mit Bildern und Symbolen lernen, als die, die keine Gebärden lernen.“
Hörgeschädigt oder gar Gehörlos zu sein, kann indes häufig zum Ausschluss aus der Gesellschaft und von gemeinschaftsfördernden Aktivitäten, dazu zählt unter anderem Sport, führen. Durch einzigartige Trainingsmöglichkeiten, die der DSV 04 seinen Mitgliedern bietet, sowie ein bestehendes Netzwerk aus Ärzten, Ansprechpartnern und Schulen, mit denen der Verein zusammenarbeitet, geht es letztlich auch um die Idee, Menschen mit Hörschädigung über Sport gezielt am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und innerhalb des Vereines ein Selbstverständnis für den Umgang mit Menschen mit Einschränkungen zu sensibilisieren.
„Obwohl ich selbst höreingeschränkt bin, fühlte ich mich bei der Teilnahme an meinem ersten Nationalmannschafts-Lehrgang aufgrund meiner bis dahin fehlenden Gebärdensprachkompetenz dennoch ein wenig fremd“, erzählt Melchiorré, die derzeit die Gebärdensprache erlernt, unter anderem, um sich vereinsintern mit anderen Athleten verständigen zu können. Dennoch: Im Verein hat Melchiorré so etwas wie eine Familie gefunden. Probleme, mit denen die Höreingeschränkte ihr bisheriges Leben lang konfrontiert war, wurden von ihren ebenfalls hörgeschädigten Vereinskameraden unmittelbar verstanden.
Während ihres Studiums in Münster wird sie aktuell von Kluth mit Trainingsplänen beschickt, in persönlichen Trainingseinheiten in Düsseldorf kontrolliert der Trainer das Erlernte schließlich vor Ort. Von 2008 bis 2016 arbeitete Kluth als Bundestrainer der Nationalmannschaft der Gehörlosenleichtathletik im Bereich Sprung und Mehrkampf und betreut seither gehörlose Athleten für den DSV 04 in Düsseldorf. Das Einzugsgebiet des Vereins ist groß, Athleten von Hamburg bis Herford lassen sich von Kluth coachen. Mit großem Erfolg: So bereitet sich etwa Alessia Melchiorré derzeit gemeinsam mit ihrem Trainer auf die 41. Deutsche Gehörlosen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften am 7. März in Hamburg sowie auf die Deutsche Gehörlosen Leichtathletikmeisterschaften am 22. und 23. Mai in Dresden vor.
Zum Training gehören neben der rein körperlichen Vorbereitung immer auch Aspekte der Verständigung ohne Hörhilfen, deren Nutzung für alle Athleten bei Wettkämpfen untersagt sind, um eine Chancengleichheit für alle Sportler gewährleisten zu können. Aspekte, die auch im klassischen Trainingsprinzip eine Rolle spielen. Denn während hörende Athleten etwa akustische Taktvorgaben oder auch Zurufe der Trainer während des Trainings problemlos wahrnehmen können, werden sie von Höreingeschränkten – wenn überhaupt – doch nur bedingt wahrgenommen. So wird beim Training und bei Gehörlosenwettkämpfen etwa ein Startschuss für Höreingeschränkte zwar klassisch mit einer Pistole ausgelöst, beim DSV 04 zusätzlich jedoch auch visuell durch ein Lichtsignal einer optischen Startanlage – einmalig in Deutschland – angezeigt.
Neben sportlichen Erfolgen bei Wettkämpfen wird beim Training der Gehörlosen-Leichtathletikabteilung des DSV 04 aber insbesondere auch ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, denn häufig können Menschen mit Höreinschränkung aufgrund physischer Aspekte nicht auf einem Bein stehen oder Radfahren. Dies kann vielfältige Ursachen haben, die mitunter noch nicht einmal Ärzten bewusst sind. Das spezielle Training für Gehörlose wird deshalb individuell auf die Anforderungen des trainierenden Kindes oder Jugendlichen angepasst. Mit gezielten Übungen der Koordination, Sensomotorik und auch des Gleichgewichts soll so eine Besserung erreicht werden, die sowohl im Alltag als auch im Sport greift. „Während viele der angewandten Übungen mittlerweile im Leistungssport selbstverständlich sind, werden sie bislang im Training von Gehörlosen nicht angewendet“, erklärt Kluth, der insbesondere diese besonderen Trainingsmethoden verstärkt nutzt.