Das Wort des Jahres 2016: "postfaktisch"
Das Wort des Jahres 2016 ist "postfaktisch". Diese Entscheidung traf am Mittwochabend eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden.
Sie richtet damit das Augenmerk auf einen tiefgreifenden politischen Wandel. Das Kunstwort postfaktisch, eine Lehnübertragung des amerikanisch-englischen post truth, verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht.
Auf Platz 2 wählte die Jury "Brexit". Die Wortkreuzung Brexit (Britain + Exit), mit der spätestens seit 2012 ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens bezeichnet worden war, stand 2016 als beherrschender Ausdruck in einer Reihe ähnlicher Wortbildungen.
Mit der altbekannten Zusammensetzung "Silvesternacht" (Platz 3) wurde 2016 eine neue, unerfreuliche Assoziation verbunden. Gemeint waren die sexuellen Übergriffe auf Frauen sowie andere Straftaten, die in der Nacht auf den 1. Januar 2016 in Köln und etlichen anderen Städten von Gruppen junger Männer aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum verübt worden waren.
"Schmähkritik" (Platz 4) nennt man eine kritische Äußerung, bei der nicht eine sachliche Auseinandersetzung, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Die Grenzen des Erlaubten versuchte der Satiriker Jan Böhmermann durch ein beleidigendes Gedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan mit dem Titel Schmähkritik vor Augen zu führen. Er wurde daraufhin von türkischer Seite angezeigt. Die Bundesregierung ließ die Strafverfolgung zu, die Staatsanwaltschaft stellte später das Verfahren jedoch ein, weil aus ihrer Sicht strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen waren.
Mit Diskriminierungen und wahrheitswidrigen Behauptungen wie der Aussage, Präsident Obama habe die Terrororganisation "Islamischer Staat" gegründet, hatte der Milliardär Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA Erfolg. Von Börsenkursen bis zum Politikstil und zum Wahlverhalten in verschiedenen europäischen Ländern: Der "Trump-Effekt", von der GfdS-Jury auf Platz 5 gewählt, steht für vermutete Auswirkungen des amerikanischen Wahlkampfs und des für viele überraschenden Ergebnisses.
Platz 6 belegt der Ausdruck "Social Bots". Unter einem Bot (von englisch robot ›Roboter‹) versteht man ein Computerprogramm, das automatisch bestimmte sich wiederholende Aufgaben bearbeitet. In sozialen Medien können solche Programme dazu eingesetzt werden, um Werbung oder auch politische Propaganda zu verbreiten. Dabei ist meist kaum oder gar nicht erkennbar, dass eine Nachricht oder ein Kommentar nicht von einer realen Person stammt, sondern maschinell erzeugt wurde.
Mit dem Vorwurf, sie hätten "schlechtes Blut" (Platz 7), diffamierte der türkische Staatspräsident Erdoğan türkischstämmige deutsche Bundestagsabgeordnete, die in einer Resolution dafür gestimmt hatten, das türkische Verhalten gegenüber den Armeniern zu Anfang des 20. Jahrhunderts als Völkermord zu bezeichnen. Die GfdS-Jury sieht mit Sorge, dass das Wort Blut wieder Einzug in den politischen Sprachgebrauch hält: Im Zusammenhang mit Volkszugehörigkeit ist es durch den nationalsozialistischen Sprachgebrauch belastet. Ähnlich kritisch sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht Forderungen wie die der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry zu bewerten, das NS-Wort völkisch solle positiv besetzt werden.
Als "Gruselclown" (Platz 8) verkleiden sich seit einer Reihe von Jahren immer wieder Personen, besonders gern in der Zeit um Halloween, um andere Personen zu erschrecken. Oft werden die Überfälle gefilmt und dann im Internet veröffentlicht. 2016 wurde die Spaßgrenze mehrfach überschritten: Es kam zu teils massiven Körperverletzungen, da einige der Clowns — oder auch der Attackierten — bewaffnet waren.
Das "Burkiniverbot" (Platz 9), das 2016 in Frankreich verhängt, aber von französischen Gerichten rasch wieder aufgehoben wurde, bewegte, meist im Zusammenhang mit der Debatte um die Vollverschleierung, auch hierzulande die Gemüter. Unter einem Burkini, gebildet aus Burka und Bikini, versteht man einen den ganzen Körper verhüllenden Badeanzug, der bei strenggläubigen Musliminnen Verwendung findet.
Auf Platz 10, traditionell ein “Satz des Jahres„, wählte die Jury "Oh, wie schön ist Panama". Mit diesem Titel eines beliebten Kinderbuchs wurde 2016 wiederholt auf die Veröffentlichung der Panama-Papiere angespielt: auf groß angelegte Enthüllungen über Briefkastenfirmen in Panama. Wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerbetrug wurde in vielen Ländern ermittelt; einige führende Politiker wie beispielsweise der isländische Regierungschef mussten zurücktreten. Auch in Deutschland waren offenbar etliche hundert Personen involviert.
Die Wörter des Jahres werden 2016 zum 41. Mal bekannt gegeben. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr besonders charakterisieren.