Die Shetland Inseln: Natur macht glücklich
"Wollen Sie auch zu Gate 9?" Ich nicke. Der Mann auf Geschäftsreise flucht und zetert. Tatsächlich ist man schnell vorbei an dieser unscheinbaren Türe im Flughafen Glasgow. Dahinter führt eine Treppe hinunter zum tatsächlichen Gate.
Dort ist es gerade ziemlich voll. Familien, Herrenclubs. Wollen die etwa alle auf die Shetlands?
Als ich beim Boarding meine Bordkarte vorlege, gibt es eine Fehlermeldung. "Falscher Flug", sagt die Frau von Loganair. Ich erkläre freundlich, dass ich auf die Shetlands möchte. Die Dame im schottischen Karomuster lacht. "Kein Problem. Aber frühestens in drei Minuten. Jetzt geht's erstmal nach Islay!" Fünf Minuten später ist die Maschine zur Whisky-Insel weg. Und die meisten Passagiere am Gate auch. Ich mache mir den Spaß zu zählen. Wir sind noch genau zehn Personen. Auf dem Weg nach Sumburgh/ Shetland, Mainland-South.
Ein leichter Nebel liegt über dem kleinen Inselflughafen. Nach 28 Grad in Glasgow lässt die Luft hier frösteln. Doch am Hotel: Showtime. Der Himmel reißt auf und strahlt in reinstem Blau, während eine frische Brise vom Meer weht. Perfekte Kulisse, wären da nicht 15 Reisebusse und allzu viele Touristen. Natürlich Kreuzfahrer. Doch der Spuk ist bald wieder vorbei. Die großen Schiffe machen in Lerwick Station, um ihre Passagiere quer über die Insel zu karren. Das Ziel: Jarlshof, eine Ausgrabungsstätte aus der Wikingerzeit.
Nach ein paar Metern zu Fuß ist man aber auf dem Küstenpfad zum Leuchtturm und lässt die Menschenmassen hinter sich. Der Weg schlängelt sich hinauf zum Sumburgh Head. Eissturmvögel brüten hier ziemlich ungeniert. Mit ein bisschen Glück sieht man bald auch die ersten Papageitaucher. Und mit noch etwas mehr Glück Orcas und andere Wale, die unterhalb des Leuchtturms vorbeischwimmen.
Ein einsamer Papageitaucher lässt sich tatsächlich blicken. Mit den Walen wird es nichts. Meint jedenfalls Orla. Sie isst gerade eine Banane in der Sonne. Eine große Orca-Flosse aus Kunstharz und ein riesiges Teleskop weisen sie als Offizielle aus. Orla hält Ausschau nach Walen. "Wenn ich Dienst habe, kommen sie eigentlich nie." Sie lacht. Ich nicht.
Wer nach Shetland kommt, weiß, was er sehen möchte. "Otter", sage ich abends, als wir uns in unserer kleinen Reisegruppe vorstellen. "Orcas", sagt Deirdre aus Edinburgh. Wir sind sechs Personen. In erster Linie Birdwatcher, Menschen, die stundenlang Ausschau nach Vögeln halten können. Eine Beschäftigung, die auf Außenstehende skurril wirkt, die aber ungemein spannend, erholsam, amüsant und magisch sein kann — mit Gleichgesinnten.
Wie magisch, erleben wir noch am gleichen Abend. Der schottische Frühsommer hinterlässt einen warmen Lichtschimmer am Horizont, während uns das Boot übers spiegelglatte Wasser zur Insel Mousa bringt. Ein leises Flötenspiel zieht über den Strand. Drei junge Männer campen hier.
Wir wollen zum Broch von Mousa. Der Rundturm aus der Eisenzeit ist äußerst gut erhalten. Das Besondere: am späten Abend erwacht das Gemäuer zum Leben. Dann nämlich, wenn die Sturmschwalben vom Meer heimkehren, um ihre Jungen zu füttern. Der Broch von Mousa ist ein Nistplatz.
Während wir auf die Heimkehrer warten, wummert es um uns herum im Moor. Bekassinen. Die Schnepfenvögel produzieren das wunderliche Geräusch mit ihren Steuerfedern. Und dann kommt Leben in den dunklen Turm. Aus den Mauerritzen tönen die Jungvögel, die hungrig nach ihren Eltern rufen. Diese eilen herbei. Lautlos wie Fledermäuse.
Als wir spät in der Nacht die Insel verlassen, ist es ruhig auf dem Schiff. Der Mond spiegelt sich im stillen Wasser. Die Luft ist kühl. Das Glücksgefühl unendlich.
Am nächsten Morgen geht es in Richtung Mainland Nord. Der Weg ist das Ziel, das Fernglas griffbereit. Tourguide Gary hatte uns zur Begrüßung mit Listen versorgt. Vogelarten, die ständig auf Shetland vorkommen. Vogelarten, die regelmäßig zu Besuch sind. Überraschungsgäste. Am Ende der Woche werden wir 71 verschiedene Vogelarten gesehen und notiert haben.
Aber da stehen ja auch noch Otter auf dem Wunschzettel. Gary fährt zu einem unspektakulären Flecken Erde. Ein großer Landrover ist dort geparkt. Gary flucht. Französische Tierfilmer. Die Kollegen von der BBC haben wir schon kennengelernt. Die Franzosen sind neu für uns.
Bei der Arbeit wollen wir sie nicht stören. Aber wir sind angefixt. Wir wollen Otter sehen. Schließlich kehren die Franzosen zurück. Und wir gehen auf die Pirsch. Klare Anweisung: Klappe halten, zusammenbleiben. Und wenn Gary stehen bleibt, sollen wir erstarren.
Der stille Gary wird plötzlich aufgeregt. Ein Otter hat sein Geschäft hinterlassen. Blick-, Finger und Geruchsprobe bringen allerdings schnell Enttäuschung. Der Otterschiss ist schon älter.
Wir pirschen den Ufersaum entlang. Eine Stunde. Eineinhalb Stunden. Kein Otter. Letzter Versuch: Wir schlagen einen Bogen über die Heide wie William "Braveheart" Wallace beim Angriff auf die Engländer. Als wir die Uferböschung erreichen, starren wir angestrengt.
Otter, so haben wir in der Theorie gelernt, tummeln sich gerne im Kelp. Blöd nur, dass der Tang die gleiche Farbe hat wie das Fell vom Wassermarder. Weißer Adler auf weißem Grund. Vergebliche Liebesmüh. Doch kaum wollen wir abbrechen, geht ein leises Zischen durch die Gruppe. Und tatsächlich: Vielleicht zehn Meter entfernt in voller Pracht und Herrlichkeit steht mein erster Otter in freier Wildbahn. Wir sind gerührt, ergriffen, begeistert. Die nächste halbe Stunde verbringen wir damit, dem Tier beim Schwimmen und Jagen zuzusehen. Wir sind glücklich.
Ein Gefühl, dass man auf Shetland häufig erleben darf. Beim Anblick von Kiebitzen mit Jungen, wenn der Goldregenpfeifer mit seinem Nachwuchs durchs Moor läuft, wenn der kleine, unscheinbare Wiesenpieper entdeckt wird. Oder im Hafen von Lerwick, wo Stevie, George und Bill ihr fröhliches Unwesen treiben. Die drei Kegelrobben sind eine echte Touristen-Attraktion, weil sie genau wissen, an welchem Boot sie eine Makrele abstauben können.
Echte Konkurrenz haben sie in jüngster Zeit von "Beardie" bekommen. Die Bartrobbe ist eigentlich in der Arktis zu Hause, treibt sich neuerdings aber lieber auf den Shetlands herum. Was wiederum die Orcas freuen dürfte. Die sind nämlich im Frühsommer rund um die Inseln auf Robbenjagd. Und mit ein bisschen Glück kann man sie vom Ufer aus beobachten.
Aber selbst auf Shetland kann man nicht alles haben. Und so endet die Woche nach Besuchen auf Unst, Yell und Fetlar bei der Rückkehr nach Mainland schließlich immerhin mit dem Anblick von Schweinswalen. Und dem berüchtigten Nebel. Der kommt schnell und geht nur sehr langsam. Beim letzten Strandspaziergang im Nebel von Sumburgh begleitet mich eine hübsche Eiderente. Ein Erpel, um genau zu sein. Zart ist sein "Gruh, Gruh" durch den Nebel zu hören. Ein neuer Freund, keine Frage.
Shetland Inseln, Schottland
Anreise:
Flug von Frankfurt nach Aberdeen, von dort 12 Stunden mit der Fähre nach Lerwick/ Shetland
Alternativ: Flug von Düsseldorf nach Glasgow oder Edinburgh, Zwischenübernachtung und Weiterflug am nächsten Tag mit Loganair nach Sumburgh/ Shetland
Ansprechpartner vor Ort für Naturbeobachtungen, Ausflüge usw.: u.a. www.shetlandnature.net
Tipp: Das Wetter kann bei der An- und Abreise immer wieder Probleme machen. Ein paar Tage Urlaub als Puffer am Ende der Reise können hilfreich sein.