Herr Becker, neulich sah ich die Sendung „Wilfried Schmickler feiert Jürgen Becker“, eine Sendung anlässlich Ihres 60. Geburtstages. Herr Schmickler bezeichnet Sie darin als Gutmensch. Eine große Ehre, aber auch eine schwere Bürde, oder?
Jürgen Becker im Interview Demokratie einüben
„Volksbegehren“, so lautet der Titel des aktuellen Live-Programms von Kabarettist Jürgen Becker. Darin bittet er sein Publikum zu einem Blick durch das fiktive Schlüsselloch, denn Hauptthema ist die turbulente Kulturgeschichte der Fortpflanzung und die daraus zu ziehenden Lebensweisheiten. Sven-André Dreyer sprach mit Jürgen Becker über Faschisten, den rheinischen Karneval und Macho-Männer in der Politik.
Na ja, Schlechtmensch wäre problematischer. Jeder versucht ja, im Leben etwas gut zu machen; wenn etwas gelingt, ist das immer schön. Wenn aber etwas misslingt, ist es auch nicht schlimm, denn daraus entstehen ja die schönen Geschichten. Dennoch: Es kommt aus dem Bemühen heraus, die Sachen, die man anfasst, gut zu machen. So richtig viele Schlechtmenschen gibt es eigentlich gar nicht.
Das ist eine sehr positive Weltanschauung ...
Man könnte natürlich auch nach Thüringen schauen. Das Wahlergebnis des vergangenen Sonntag zeigt, dass es auch Menschen gibt, die bereit sind, einen Faschisten zu wählen. Viele sagen, dass die Menschen dort, geprägt durch die DDR, noch nicht an die Demokratie gewöhnt seien, und dass das noch Reflexe von früher seien. Das kenne ich auch von mir: Ich kacke manchmal einfach vom Balkon hinunter auf die Straße, das hat man früher im Mittelalter in Köln so gemacht. Ein Reflex aus dem Mittelalter.
Sie attestieren, dass die Menschen nicht aus der Geschichte lernen?
Nun, Demokratie muss eingeübt werden, das ist ein langer Prozess. Alte Demokraten, die Schweizer zum Beispiel, können das gut und es dauert immer ein bisschen, bis sich Menschen von einem autoritären System verabschieden und in der Demokratie ganz angekommen sind. Und trotzdem: Dass jetzt ein Faschist gewählt wurde, finde ich sehr betrüblich.
Betrüblich schien für Sie auch die Situation des Kölner Karnevals zu sein, bis Sie 1984 gemeinsam mit einem Kölner Studenten-Kollektiv die Stunksitzung ins Leben riefen. Steckt es in Ihnen, dass Sie revoltieren wollen?
Man sagt ja, dass die besten Erfindungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren machen, wahrscheinlich sind sie dann am freiesten im Denken. Irgendwie lag es in der Luft, man musste es nur machen: Der Karneval war zu dieser Zeit in Köln, sicherlich aber auch in Düsseldorf und Bonn, sinnentleert. Die Macher der Karnevalssitzungen hatten damals kein richtiges Konzept mehr für das System Karneval. Eine Parallele zu den damaligen Hausbesitzern, denn die hatten auch oft kein Nutzungskonzept für ihre Gebäude. Und dann sind Haubesetzer kurzerhand reingegangen und haben die Gebäude mit Leben gefüllt, im Stollwerck in der Kölner Südstadt etwa, aber auch an der Kiefernstraße in Düsseldorf. Genau so haben wir das damals im Karneval gemacht: Wir sind in das Konzept der Sitzungen gegangen und haben das System „instandbesetzt“.
Wie entwickeln Sie ein neues Programm?
Nun, ich suche nach relevanten Themen, die auch mich interessieren. Derzeit sind das die Macho-Männer, die in der heutigen Zeit offensichtlich immer mehr weltweit das Sagen haben: Bolsonaro in Brasilien, Trump in den USA, Putin in Russland, Erdogan in der Türkei oder Orban in Ungarn. Und auch der Fall Strache in Österreich ist ein Musterbeispiel für einen Macho-Mann. Nicht nur in der #metoo-Debatte, auch in der Politik ist das ein großes Thema. Diese Männer müssen anderen stets zeigen, wie mächtig sie sind. Im Zweifelsfall würde ich doch eher eine Frau wählen.
Die Rolle des modernen Mannes scheint kompliziert. Einerseits wird der Macho erwartet, andererseits der liebende, fürsorgende Vater, der Elternzeit nimmt. Ein Bild, dem der heutige Mann vielleicht gar nicht gewachsen ist, oder?
Die Anforderungen sind sehr hoch, das stimmt schon. Trotzdem sollten Männer den Mut haben, den Frauen zu sagen, was sie wollen. Es ist schließlich der vorauseilende Gehorsam, der die Sache so kompliziert macht: Männer rücken erst gar nicht mit ihren Wünschen und Sehnsüchten heraus. Männer sollten einfach mehr Auseinandersetzung riskieren.
Vielleicht ein wenig dem Karneval geschuldet: Sie verbindet eine enge Freundschaft mit Jacques Tilly, richtig?
Ich war von Anfang an vom Düsseldorfer Rosenmontagszug begeistert. Und ganz stolz war ich, als ich Jacques Tilly einmal in einer Sendung kennenlernen durfte. Seitdem halten wir den Kontakt und gerne fahre ich jährlich zum Rosenmontagszug nach Düsseldorf.
Keine Ressentiments – Sie sind also in der Tat eher Rheinländer als Kölner?
Das Beste an Köln ist, das muss man wirklich sagen, dass man Düsseldorf und Bonn auch noch dazu bekommt. Beide Städte kann man in kurzer Zeit erreichen und die tollen Dinge dort genießen. Bonn und seine fantastische Museumslandschaft, und Düsseldorf finde ich auch ganz großartig. Kürzlich war ich mit Jacques Tilly und seiner Frau Ricarda in der Ausstellung „Utopie und Untergang“ im Museum Kunstpalast. Derzeit das einzige Museum in Westdeutschland, das DDR-Kunst ausstellt. 30 Jahre nach dem Mauerfall längst überfällig. Und das Beste: In der Ausstellung ist ein Porträt des Kanzlers Helmut Schmidt des DDR-Malers Bernhard Heisig zu sehen. Das zeigt Schmidt ohne Zigarette. Unvorstellbar, nicht? Die Ausstellung erklärt aber auch, dass insgesamt fünf Porträts des Altkanzlers angefertigt wurden. In der Kanzlergalerie hängt schließlich eine Version, die Schmidt mit Zigarette zeigt.