Poesie und Musik Julia Engelmann in der Mitsubishi Electric Halle

Man muss sich manchmal wundern, was beim sogenannten "großen" Publikum gut ankommt. Julia Engelmann zum Beispiel. Die 26-jährige Bremerin wird gerne als "Multitalent" beschrieben. Fakt ist: Sie schaffte es mit gleich drei Büchern in die Spiegelbestsellerliste, sie schreibt Songs und steht mittlerweile auf ziemlich großen Bühnen.

Eine Schreibmaschine im Kornfeld: Julia Engelmann.

Foto: Martha Urbanelis

Warum eigentlich?

Es gibt dieses Video von Julia Engelmann, "Grapefruit". Es wurde bei Facebook über zweieinhalb Millionen mal aufgerufen. In dem 5-Minüter sitzt die junge Frau auf einem Ledersofa in einer Maisonette-Wohnung Marke Ikea. Engelmanns schulterlange Haare wurden mit der Rundbürste bearbeitet, das Make-up ist ebenso perfekt wie die Kleidung adrett. Es könnte die Ausgangssituation für einen LBS-Werbespot sein. Aber es ist Pop oder versucht vielmehr Pop zu sein, so weit das halt funktioniert, wenn man eher durchschnittlich singt, mutmaßlich seit seinem 14. Lebensjahr Tagebuch schreibt und sich mit Hilfe von "Peter Burschs Gitarrenschule" ein paar Akkorde drauf geschafft hat.

Mit glitzernd lackierten Fingernägeln schlägt Engelmann also in die Saiten und gibt dazu Verse zum Besten, die man selbst einem Plattitüden-Spezialisten wie Max Giesinger nicht hätte durchgehen lassen. "Heute kann ich sagen, dass ich meine beste Freundin bin" lautet eine Zeile, zu der sie mit braunen Rehaugen in die Kamera glotzt. "Lieben, Lachen, Kochen, Tanzen, Weihnachten, wie nice das ist/Und dann auch noch begreifen, dass du deine eigene Heimat bist" eine andere. Vorgetragen wird all das in einer Art Sprechgesang mit angezogener Handbremse, ab und zu kommt Melodie ins Spiel. Zum Beispiel im Refrain. Überhaupt, der Refrain, der ist der Gipfel! Er lautet: "Wenn du fest daran glaubst, dann wirst du glücklich/Und heute gibt es Grapefruit zum Frühstück". Mindestens weltfremd wirkt das, wenn nicht gar naiv. Aber es ist äußerst erfolgreich.

Engelmanns Bühnenprogramm "Jetzt, Baby — Poesie und Musik" lockte 50.000 Menschen an. Ihr Debütalbum "Poesiealbum", das Songs wie "Zauberer", "100 große Kinder" oder "So was wie Magie" enthält, stieg 2017 auf Platz 9 der Albumcharts. Engelmann ist in Detlevs Bucks aktuellem Kinofilm "Asphaltgorillas" zu sehen. Im September erschien ihr viertes Buch mit dem wenig versprechenden Titel "Keine Ahnung, ob das Liebe ist".

Der Erfolg von Julia Engelmann könnte mit den unruhigen Zeiten zu tun haben, in denen wir derzeit leben. Zeiten, in denen die Menschen sich im wahren Leben und in den sozialen Netzwerken gegenseitig auf die Mappe hauen, in denen die USA nach Gutsherrenart regiert werden, Flüchtlingsboote durchs Mittelmeer irren und Neonazis in deutschen Städten aufmarschieren.

In diesen Zeiten funktionieren Songs wie "Grapefruit" wie ein Feelgood Movie. Türen zu, Duftkerzen an und dann ab unter die Kuscheldecke. Das ist die perfekte Situation für die Musik von Julia Engelmann. Während Punkrock die Feindbilder beim Namen nennt, auf Missstände hin weißt und die Hörer bestenfalls auf die Straße treibt, liefert Julia Engelmann den Soundtrack zum Cocooning. "Weißt du, die Dinge werden wahr, wenn man sie oft genug sagt/heute ist ein schöner Tag" behauptet sie singend. Und man möchte ihr entgegnen: Nein, wird er nicht. Und morgen auch nicht. Aber das würde vermutlich nichts ändern, vor allem nicht an Julia Engelmann. Die wollte früher bestimmt mal Pfarrerin werden. Oder Lehrerin. Hätte sie mal besser gemacht.

!30.9., 19 Uhr, Mitsubishi Electric Halle, Siegburger Str. 15, Düsseldorf, mitsubishi-electric-halle.de