"Woher kommt dieser ganze Hass?"

Mit einer rauschenden "Album-Release"-Party in Köln haben "Die Toten Hosen" ihr neues Album "Laune der Natur" am vergangen Freitag offiziell unter die Leute gebracht. Olaf Neumann wollte für den Düsseldorfer Anzeiger von Frontmann Andreas "Campino" Frege wissen, was ihn nach 35 Jahren noch antreibt, wie die Band mit Anfeindungen umgeht und ob sein Sohn eigentlich auf Tour dabei ist.

Die Toten Hosen, Frontmann Campino (r.) - „Die Musik sei ja ok, aber unser politisches Gesabber sollten wir sein lassen...“

Foto: Paul Ripke

Ihr Album "Laune der Natur" beginnt mit einem Punk-"Urknall", so auch der Titel des Tracks. Woher diese Wut?

Es ist eher Spielfreunde und Lust am Krach. Der Song ist erst einmal nur eine Feststellung. Zunächst will man im Leben ja weg von zu hause, raus aus der Stadt, raus aus dem Land und die Welt für sich entdecken. Wenn du dann eine gewisse Strecke zurückgelegt hast, erkennst du, zu hause war es gar nicht so schlecht. Es gibt viel Oberflächlichkeit in der Welt, die braucht man eigentlich nicht für sich. Die absolute Realness findest du nicht auf irgendwelchen Champagnerempfängen, sondern nur zu hause auf dem unglamourösen, aber menschlichen Bolzplatz.

"Unter den Wolken geben wir die Freiheit noch nicht her", lautet eine Zeile in dem Album. Fühlen Sie sich derzeit in Ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt?

So wie jeder andere Bürger auch. Bei Reinhard Mey heißt es: "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein". Unser Song ist die Weiterführung dieses Gedankens. Wir hier unten müssen mit dem klar kommen, was da ist. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, dann war es das für Europa. Mit der gemeinsamen Währung. Mit der Reise nach Italien, ohne den Pass zu zücken. Ich genieße das Leben als EU-Bürger sehr. Die EU ist eine große Errungenschaft. Ich persönlich wäre sehr traurig, wenn dieses Konstrukt zusammenbräche. Aber es ist in Gefahr.

Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Fühlen Sie sich eher deutsch oder englisch?

Ich fühle mich weder ganz deutsch, noch ganz englisch. Dieser Brexit ist für mich wie ein Faustschlag. Ich bin von England wahnsinnig enttäuscht. Bei diesen Aufnahmen sind wir genau zum Zeitpunkt des Referendums in England gewesen. Jeder einzelne der Gastmusiker auf unserer Platte kam ins Studio und war niedergeschlagen. Diese Leute wissen den Austausch zwischen den Kulturen zu würdigen.

Vor einigen Jahren sind die Toten Hosen als musikalische Botschafter durch Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan gereist. Könnten Sie sich vorstellen, dergleichen auch in der Türkei zu machen?

Diese Idee finde ich zwar gut, aber wir haben zurzeit einen dicht gedrängten Terminplan. Wir waren ja schon einmal da und erstaunt, wie viele Menschen uns dort kannten. Es hat sicher auch damit zu tun, dass viele Türken eine Verbindung nach Deutschland haben. Es war wunderschön da.

Kann man mit Musik dazu beitragen, ein System auszuhöhlen?

Musik hat auf jeden Fall die Kraft, ein Soundtrack zu sein in revolutionären Momenten. Sie ist ja ständiger Begleiter im Leben, auf Hochzeiten, auf Beerdigungen, vor und nach großen Schlachten. Insofern ist sie auch ein Motor. Ich habe oft genug erlebt, dass Leute aufgepeitscht aus einem Konzert rausgehen und es zu einer Straßenschlacht kam. Du kannst mit Musik beruhigen oder Erregung schaffen. Mit Worten verschießt man verbale Pfeile oder Friedenserklärungen. Wenn bei U2 alle "In The Name Of Love" singen, dann ist das wie eine moderne Messe. In dem Moment werden Menschen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, durch einen Gedanken geeint. Das hat etwas sehr Versöhnliches. Aber wenn diese Masse eine radikale Hymne schreit, ist es furchterregend. Eine Parole kann auch der totale Terror sein.

Eine Zeile im neuen Album lautet: "Eure naiven Gedanken zu Pop und Politik". Wer hat Ihnen das vorgeworfen?

Wir mussten uns immer wieder mal den Vorwurf anhören, wir seien naiv zu glauben, mit unserem Scheiß etwas bewegen zu können. Die Musik sei ja ganz okay, aber unser politisches Gesabber sollten wir ruhig sein lassen. Dieser Vorwurf richtet sich nicht nur gegen uns. Alle, die ein bisschen Courage haben und sich positionieren, werden dafür oft angegriffen. Man muss eine Menge Shitstorms aushalten können. Andere Menschen machen sich über dich lustig und unterstellen dir, dich wichtig machen zu wollen: "Ach, heute spielen sie bei diesem Anti-Rechts-Konzert und morgen kommt zufälligerweise ihr neues Album raus". Es ist besorgniserregend, was da für Erklärungen gesucht werden, warum Bands Stellung beziehen.

Lassen Sie sich davon beeindrucken?

Nein. Aber jede Anfeindung hinterlässt Spuren. Man kann sie zur Kenntnis nehmen und versuchen sie an sich abperlen zu lassen, aber einen Eindruck hinterlassen all diese Sachen. Man denkt dann: Woher kommt eigentlich dieser Hass? Haben die Leute denn nichts anderes zu tun? In dem Moment, wo solche Gedanken aufkommen, haben sie dich eigentlich schon gefangen genommen. Und wenn es nur für Sekunden ist.

Wie waren Ihre Begegnungen mit Punkgöttern wie Cheetah Chrome, Steve Diggle oder Tony James bei den Aufnahmen zu dem Bonusalbum "Learning English Lesson 2"? Gibt es da welche, die immer noch so leben wie damals?

Es wäre ja traurig, wenn irgendeine von diesen Figuren immer noch versuchen würde, sich so zu benehmen wie mit 18. Entsetzlich. Zum Glück sind sie alle mit der Zeit gereift und haben die Geschehnisse von damals für sich fest verortet als eine wichtige Phase in ihrem Leben. Man kann auch zusammen lachen über die Entwicklung von gemeinsamen Freunden und entspannt feststellen, es war eine tolle Zeit damals. Wir alle dachten, wir können die Welt verändern. Vielleicht haben wir es nicht geschafft, aber es war die Zeit wert, in der wir diese Illusion hatten. Uns bedeutet dieses Album sehr viel, weil diese Leute tatsächlich große Helden für uns sind. Es war unheimlich schön, dass Bob Geldof sich die Zeit genommen hat. Über dem Projekt lag eine wahnsinnige Lockerheit.

Bei der Magical Mystery Tour 2017 spielen die Toten Hosen in Wohnungen und Privaträumen ihrer Fans. Fühlen Sie sich in solchen Momenten wieder wie 18?

Ich muss darüber lächeln, weil etwas daran stimmt. Ich fühle mich zwar nicht wie 18, aber so nah dran, wie ich sonst nie mehr kommen kann. Die Leute, die da mit ihren Freunden wüste Feste feiern, haben uns eingeladen. Wir versuchen nicht, uns irgendwo hinzubegeben, wo wir eigentlich nicht dazugehören. Wir teilen mit denen einen Nachmittag und eine Nacht. Es ist eine schöne Art und Weise zu erfahren, wer unsere Musik liebt. Es gibt da draußen noch viele tolle Menschen, die politisch cool denken und die überzeugt sind, dass man die Dinge ändern kann. Da spürt man keine Resignation. Das gibt uns einen Schub.

Nehmen Sie Ihren Sohn eigentlich regelmäßig mit auf Tour?

Nein, er muss ja zur Schule gehen. Er ist da auch gar nicht so heiß drauf. Er findet uns respektabel, würde uns aber nicht hinterherfahren. Das ist auch richtig so. Er hat seine eigene Welt, ist großer Hip-Hop-Fan und findet Kendrick Lamar gut.

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