Mentalist Thorsten Havener Rückkehr des Staunens
Sie gelten als Beweis höchster Belastbarkeit, wurden im Mittelalter aber auch genutzt, um die Unschuld Angeklagter zu prüfen: Feuerproben. Ein Begriff, mit dem der Mentalkünstler und Bestseller-Autor Thorsten Havener auch sein aktuelles Programm titelt. Damit wird er am 14. Dezember im Savoy Theater zu Gast sein und überraschende Einblicke in die Welt der Vorstellungskraft, Menschenkenntnis und Suggestion bieten. Redakteur Sven-André Dreyer sprach mit Thorsten Havener vorab über den Nutzen von Geheimnissen, die Inspiration des Publikums und die dafür notwendige Empathie.
Herr Havener, ich bin ganz erstaunt ob Ihres Lebensweges. Sie haben bereits als Dreizehnjähriger mit dem Zaubern begonnen, ist das ein Fundament Ihres heutigen Schaffens?
So kann man es sagen, und im Kern spielt das Zaubern für mich bis heute eine Rolle, wobei ich inzwischen das Genre gewechselt habe. Dennoch: Heute sind viele Dinge selbstverständlich und ich denke, dass wir das Staunen verlernt haben. Wir reden stets davon, wie stressig die Welt ist, dass alles zu viel ist und dass die Taktzahl immer höher wird. Der Stress jedoch rührt nicht immer daher, dass wir viele Möglichkeiten haben, ein Großteil des Stresses besteht eher darin, dass wir diese Möglichkeiten nicht nutzen. Wir sollten indes eher betrachten, wie großartig die neuen Möglichkeiten sind. Wir haben einfach verlernt darüber zu Staunen, wie fantastisch das alles ist. Und genau darum geht es auch in der Kunst der Illusion.
Geht das Staunen nicht gerade im Digitalen verloren? Und macht dies nicht trotzdem die Taktung unseres derzeitigen Lebens aus?
Die Taktung ist das Problem. Das Problem besteht also weniger darin, welche Leistungen wir zu erbringen haben, als vielmehr darin, dass alles gleichzeitig geschehen muss. Für mich ist alles erstaunlich, was ich mir nicht erklären kann. Das kann - auch wenn es eine Erklärung gibt - das Digitale sein. Ich kann mich aber auch in der Natur umschauen und faszinieren lassen.
Beim Zaubern haben Sie bereits früh auf Ihr Gegenüber achten müssen, auf die Reaktionen Ihres Publikums. Dieses Wissen nutzen Sie heute auch für Ihre Mentalkunst, nicht?
Schon bei meinem ersten Auftritt habe ich gleich mehrere Dinge bemerkt, die mich maßgeblich geprägt haben: Erstens macht es mir Spaß vor Menschen zu stehen und sie zu unterhalten. Das hat mich schlagartig verändert und mir war klar, dass ich genau das zukünftig machen möchte. Die zweite Erkenntnis war, dass ich, wenn ich gut sein will, mein Publikum ganz genau beobachten muss. Weil das Zaubern eine interaktive Kunstform ist, musste ich darauf achten, wer Blickkontakt hält, wer an welcher Stelle lacht und wer meiner Körpersprache folgt. Zu Beginn geschah das Beobachten des Publikums bewusst, inzwischen mache ich es unbewusst.
Heute beschäftigten Sie sich auch mit Randgebieten der Illusionskunst...
... zum Beispiel der Kunst der Suggestion, der Gedächtniskunst und der Körpersprache. All diese Themen habe ich schließlich verknüpft und vereint. Was man nun in Düsseldorf sehen kann, ist eine Mischung all dieser Themen.
Sie sind uns, dem Publikum, stets einen Schritt voraus. Während wir viel unbewusst tun, wissen Sie unsere Regungen zu deuten. Sind wir Ihnen damit ausgeliefert?
Nein, so würde ich das nicht betrachten. Wir verbringen den Abend gemeinsam, um Spaß zu haben. Zu einem Comedian geht man, um zu Lachen, zu mir kommt man, um zu Staunen und mehr über sich zu erfahren. Und um zu erfahren, wozu der Geist wirklich fähig ist. Es geht darum, inspiriert zu werden. In einer Nummer beschäftige ich mich zum Beispiel mit den Fragen, die sich das Publikum an diesem Abend stellt. Ich finde die Fragen heraus, ohne dass sie zuvor verbalisiert wurden. Zudem zeige ich ganz praktische Methoden, die Dinge anders zu betrachten und neu zu denken. Es geht mir also auch darum, das Publikum mit einer Inspiration nach Hause zu schicken - und das ist das Gegenteil eines Ausgeliefertseins.
Um die Signale Ihres Gegenübers deuten zu können, benötigen Sie auch eine große Portion Empathie.
Sich in jemand hineinversetzen zu können, erfordert Empathie. Der Schlüssel der Empathie liegt dabei allerdings weniger in meinem Gegenüber, als in mir selbst. Etwas, das ich immer wieder betone: Wenn man lesen möchte, welche unbewussten Signale ein Mensch aussendet, so liegt der Schlüssel, diese Merkmale deuten zu können, in einem selbst.
Mangelt es uns derzeit grundsätzlich an Empathie?
Nun, zumindest ist der Ton rauer geworden. Offensichtlich sind diese „Soft Skills“ derzeit nicht mehr so angesehen. Wenn ich zum Beispiel einen Tweed von Donald Trump sehe, der seinen Kopf auf den Körper Sylvester Stallones montiert, dann hat das mit Empathie nur noch sehr wenig zu tun. Das macht etwas mit der generell vorherrschenden Stimmung. Davon muss man sich aber auch nicht immer anstecken lassen.
Zum Glück nicht. In Ihrem aktuellen Buch „Sag es keinem weiter - Warum wir Geheimnisse brauchen“ beschäftigen Sie sich intensiv mit der Frage, warum Geheimnisse auch zwischenmenschlich relevant sind...
Das Wort „Geheimnis“ prägte Luther in seiner Bibelübersetzung. Er nutze den Begriff, um das Wort „Mysterium“ ins Deutsche zu übertragen und wählte dafür das Wort Geheimnis, weil „Heim“ darin vorkommt. Es geht also um etwas, das nur mit der engsten Familie geteilt wird. Heute spielt das keine allzu große Rolle mehr, Diskretion scheint offenbar aus der Mode gekommen zu sein.
Für Sie spielen - damals als Zauberer und heute als Mentalist - Geheimnisse aber eine ganz große Rolle...
Absolut. Ich unterhalte mein Publikum, indem ich ihm gewisse Dinge nicht sage und im Verborgenen lasse. Das reizt die Menschen wiederum im besten und schönsten Sinne. Es inspiriert das Publikum, sich mit sich selbst und der Umwelt auseinanderzusetzen.
Welche Funktion können Geheimnisse denn über die Abendunterhaltung hinaus noch haben?
Ich habe den schönen Satz „Geheimnisse sind die Währung der Freundschaft“ recherchiert. Es können also Elemente sein, die verbinden und Beziehungen stärken. Diese Abmachung habe ich im übrigen auch mit meinem Publikum: Ich verrate nicht, wie die Inhalte meine Programms funktionieren und teilweise ist es eine Illusion. Das spreche ich nie aus, aber das Publikum weiß das. Ich wiederum weiß, dass das Publikum weiß, dass es so ist, aber auch das spreche ich nie aus. Und so funktioniert der gesamte Abend miteinander...
...den Sie „Feuerproben“ genannt haben. Was dürfen wir als Zuschauer erwarten, verraten Sie etwas?
Beim Konzipieren des Programms stellte ich mir die Frage, woran es liegt, dass wir uns derzeit alle so sehr gestresst fühlen. Aber auch, welche Möglichkeiten es gibt, besser damit zurecht zu kommen und dem Stress entgegen zu wirken. Eine Feuerprobe ist für mein Publikum aber immer auch der Moment, in dem der erste Gast auf die Bühne kommt und mitwirkt...